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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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mehr, von Waldstein erwischt. Die Westseite, auf der unter anderem auch die Merkels, die Oberts, Toni und Angela Siebeck sowie er selbst wohnten, war weitgehend verschont geblieben. Vielleicht fehlten hier und da ein paar Dachziegel, vielleicht waren da und dort einige Fenster und Türen aus der Verankerung gerissen worden, doch dies war nichts im Vergleich zu jenen, die von einer Minute zur anderen obdachlos geworden waren. Und oft nicht nur das.
    Brackmann aß ein trockenes, fade schmeckendes Stück Brot, trank einen Schluck kalte Milch. Er war übermüdet, mit seinen Kräften am Ende, er hätte gerne geschlafen. Er setzte sich für einen Moment auf das Bett, den Kopf geneigt, die Hände wie zum Gebet gefaltet. Er schloß die Augen und ließ sich zurückfallen. Er schlief ein.

Kapitel 25
    Brackmann schlief nicht einmal zwei Stunden. Auf der Straße wurde gehämmert und gebohrt, Holz und Steine wurden auf Lastwagen geworfen, Häuserreste abgerissen, traurig anzusehende Relikte besserer Zeiten, die vor sechs Stunden geendet hatten.
    Er fühlte sich miserabel, ausgekotzt, übernächtigt. Ihm war schwindlig, sein Mund war trocken, seine Beine schwer, er hatte Mühe beim Atmen, das Gefühl, ein Bleigewicht läge auf seiner Brust. Er stand auf und sah aus dem Fenster auf die Stadt, die kaum noch etwas mit der vom Vortag gemein hatte. Bis zu dieser Nacht hatte er sich die Gewalt eines Tornados nicht einmal annähernd vorstellen können, alles, was er bisher darüber gelesen oder gesehen hatte, hatte nicht im entferntesten das Desaster und die Angst und das Leid vermitteln, kein Fernsehbild die Not, den Krach und die Zerstörung wiedergeben können, die der Wirklichkeit entsprachen.
    Er sah die Schneiders vor sich, Buchner und dessen abgrundtiefe Verzweiflung, das kleine Mädchen, das im Regen auf dem Bordstein gekauert hatte, die Puppe an sich gedrückt, das Baby, das im letzten Moment gefunden wurde.
    Er nahm eine seiner Pillen, um den Druck auf seiner Brust loszuwerden, duschte kalt, rasierte sich, frühstückte eine kleine Schüssel Cornflakes, warf danach noch ein Pille gegen das schwarze Loch ein und verließ die Wohnung. DieTabletten begannen nach einer halben Stunde ihre Wirkung zu entfalten. Sieben Uhr, die Sonne schälte sich gerade aus dem Horizont, Dunstschwaden waberten über der mit Feuchtigkeit vollgesogenen Erde und wurden von der wieder mächtigen Sonne allmählich hochgezogen.
    Auf seinem Schreibtisch fand er eine Nachricht von Leutnant Bürger vor:
Bin um zwölf in Ihrem Büro. Kurze Lagebesprechung. Erwarte, daß Sie dann anwesend sind. Ein unmißverständlicher Befehl.
Brackmann knüllte den Zettel fluchend zusammen, warf ihn in den Papierkorb. Daneben eine kurze Notiz von Schmidt, der losgefahren war, um ein paar Verrückte davon abzuhalten, den Laden von Maria Olsen zu plündern.
    Brackmanns erster Weg führte ihn zu Angela Siebeck. Erst nach dem zweiten Klingeln wurde ihm geöffnet. Angela lugte verschlafen durch den Türschlitz, sie war blaß, hatte tiefe dunkle Ränder unter den Augen.
    »Sie, so früh? Ich habe noch nicht mit Ihnen gerechnet. Die anderen schlafen auch noch.«
    »Tut mir leid, aber mein Zeitsinn ist ziemlich durcheinander. Wenn ich störe, komme ich später wieder . . .«
    Sie zögerte einen Moment. »Ach was, kommen Sie ruhig rein. Ich kann ja schon mal Kaffee kochen. Aber schauen Sie sich um Himmels willen nicht zu genau um, es sieht chaotisch aus.« Sie machte die Tür frei, um Brackmann eintreten zu lassen. Es roch muffig nach Feuchtigkeit und den Ausdünstungen mehrerer Personen in einer zu kleinen Wohnung, zudem waren die Fenster noch geschlossen. Während Angela in der Küche verschwand und Wasser in den Kessel laufen ließ, öffnete Brackmann die Balkontür, um frische Luft hereinzulassen. Er setzte sich in einen der beiden großen weichen Sessel; kaum hatte er Platz genommen, erschienen Sarah und Csilla, auch ihre Gesichter von Übermüdung und Erschöpfung gezeichnet. Sarah, die inetwa Angelas Figur hatte, trug eines von Angelas Kleidern, während die etwas fülligere, zwar nicht dicke, nur etwas aufgedunsene Csilla ein gestreiftes, bis über die Knie reichendes Baumwollnachthemd anhatte. Einen Moment blieben sie unentschlossen in der Mitte des Zimmer stehen, bis Sarah näher trat und sich auf die Couch setzte, die Beine übereinanderschlug. Csilla setzte sich dicht neben Sarah.
    Csilla hatte dunkle Ringe unter den verquollenen Augen, ihre Hände zitterten leicht,

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