Der Finger Gottes
nicht mehr daran, daß Alex noch lebt. Er hätte sonst Himmelund Hölle in Bewegung gesetzt, um mich aus meinem Gefängnis zu befreien. Er hatte sich doch so sehr auf sein Kind gefreut. Sie hätten ihn sehen sollen, als ich ihm sagte, daß er Vater würde! Und plötzlich, so aus heiterem Himmel, soll er sich nicht mehr für mich und das Kind interessiert haben?!«
»Frau Vandenberg, ich habe nicht gesagt, daß Alexander tot ist. Aber wir müssen einfach jede Möglichkeit in Betracht ziehen. Darf ich Ihnen eine andere Frage stellen?«
Csilla nickte nur.
»Ihrer Familie gehört doch der alte Steinbruch?«
»Ja, natürlich, warum fragen Sie?«
»Er ist geschlossen worden. Mich würde interessieren, warum. Haben Sie eine Ahnung?«
»Nein, ich höre heute zum ersten Mal, daß dort nicht mehr gearbeitet wird. Wann soll das denn gewesen sein?«
»Etwa vor sechs Jahren.«
»Hat das irgendwas mit Alex zu tun?«
»Nein. Es hat mich nur so interessiert«, log Brackmann und sprang sofort über auf das nächste, unverfänglichere Thema. »Wo werden Sie in den nächsten Tagen bleiben?«
»Sie bleiben selbstverständlich erst einmal hier«, sagte Angela. »Ich kann etwas Gesellschaft brauchen.«
»Danke«, sagte Sarah.
Brackmann wollte sich schon verabschieden, da fiel ihm noch etwas ein. »Frau Vandenberg, es gibt doch sicherlich einen Arzt, der Sie mit Medikamenten versorgt und der auch ein Attest ausgestellt hat, aus dem hervorgeht, daß Sie …«
»Daß ich verrückt bin? Geistesgestört? Eine Psychopathin? Natürlich gibt es einen Arzt. Dieser Schweinehund würde jede Schmutzarbeit erledigen.«
»Sein Name, wie ist sein Name?«
»Dr. Reuter, warum?«
»Nur so, nur zur Information.« Er spürte, wie seine Knie weich wurden, ein Karussell sich in seinem Kopf zu drehen begann. Reuter, Reuter, Reuter!! Er war zornig – enttäuscht und zornig. Er wäre jetzt am liebsten zu ihm gerannt . . . Aber das wäre dumm gewesen. Er mußte einen kühlen Kopf bewahren. Dabei hatte er es fast geahnt, aber auch wieder nicht für möglich gehalten, daß Reuter für die Vandenbergs arbeitete! Und offenbar stellte er wissentlich falsche Atteste aus!
Brackmann ging zur Tür, blieb mit dem Rücken zu den Frauen stehen, drehte sich um und schluckte schwer. »Ich habe es mir überlegt«, sagte er, »Sie haben meine volle Unterstützung.« Er wartete keine Antwort ab, sondern ging hinunter und hinaus in die Hitze, die Waldstein zurückerobert hatte.
Auf dem Weg zurück ins Büro kreisten seine Gedanken um einen einzigen Namen – Reuter! Er hatte Reuter immer für integer und absolut unbestechlich gehalten. Als einen sich vor Liebe zu Maria Olsen verzehrenden Arzt. Einen Wohltäter, einen freundlichen, hilfsbereiten Mann. Und jetzt stellte sich heraus, daß dieser selbe Mann in Wirklichkeit in schmutzige Geschäfte verwickelt war.
Und Engler, der beste Freund von Reuter? Wie verhielt es sich mit Engler? Stand vielleicht auch er in Diensten der Vandenbergs? Nichts schien Brackmann plötzlich mehr unmöglich. Irgendwann, aber nicht sofort, würde er Engler nach seinem Verhältnis zu den Vandenbergs befragen. Gestern hatte er zwar behauptet, keinerlei Kontakt zu ihnen zu haben, aber schon da war ihm einiges am Verhalten des Pfarrers merkwürdig vorgekommen. Er mußte und würde versuchen, Engler dazu zu bringen, sich zu verraten. Irgendwie mußte er ihn unter Druck setzen. Obwohl, nein, er verwarf den Gedanken wieder, es war einfach unmöglich, daß Engler . . . nein, ein Priester machte so was nicht.
Schmidt wartete bereits auf Brackmann. Er hatte keine gute Nachricht. »Richter liegt im Krankenhaus, beide Beine gebrochen, ein paar Rippen gequetscht, innere Verletzungen. Soweit ich weiß, liegt er auf der Intensivstation, sein Zustand ist kritisch. Sein Vater ist tot, seine Mutter ist wie durch ein Wunder unverletzt geblieben. Sie haben ihn nach Nürnberg in die Klinik geflogen, weil in Hof kein Platz mehr war.«
»Scheiße! Aber ich habe jetzt Wichtigeres zu tun, als mich um Richter zu kümmern. Ich bin nur kurz hier, um die Schlüssel zu holen.«
Er ließ sich in seinen Streifenwagen fallen und fuhr los. Die Hauptstraße war wieder passierbar, am Straßenrand standen dicht an dicht Lastwagen, Kranwagen und Militärfahrzeuge. Zelte waren an freien Stellen errichtet worden, als erste Notunterkünfte für die Obdachlosen.
Fünf Minuten später hielt er vor dem Anwesen der Vandenbergs. Er legte sich Fragen zurecht, die er ihnen
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