Der Finger Gottes
war übel, das morgendliche Zittern der Hände, die geröteten Augen, die fahle Haut, das aufgedunsene Gesicht waren deutliche Zeichen für ihren Alkoholismus, ihr Körper verlangte danach, daß der über Nacht abgesackte Pegel wieder stieg. Csilla spürte die Blicke der anderen, aber sie ignorierte sie, auch wenn sie sich schämte. Mit gesenktem Blick füllte sie das Glas bis zur Hälfte. Sie trank in einem Zug aus. Das Zittern ihrer Hände hörte wenig später auf, ihre Stimme wurde fester.
Sie schilderte Brackmann in fast den gleichen Worten die gleiche Geschichte, die sie nachts zuvor Sarah erzählt hatte. Sie ließ nichts aus, fügte nichts hinzu, als hätte sie die Geschichte in der Einsamkeit ihres Zimmers in den endlosen Momenten des Alleinseins, der Depression und desgleichzeitigen Hasses, mit spitzem Meißel in ihr Gehirn geschlagen.
Brackmann hörte zu, ohne sie auch nur einmal zu unterbrechen. Er war noch müde und doch mit einem Mal hellwach, wie elektrisiert. Alexander Höllerich. Csilla hatte den Namen des Mannes erwähnt, über den auch Maria Olsen geschrieben und von dem sie behauptet hatte, daß er hier in Waldstein getötet worden war. Trotzdem unterbrach er Csilla nicht, er wartete, bis sie ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte, aber er spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, seine Handflächen feucht wurden.
Als sie geendet hatte, sagte er: »Sagen Sie, Frau Vandenberg, dieser Alexander Höllerich – Sie haben nie wieder etwas von ihm gehört?«
»Nein, aber das habe ich doch schon gesagt. Warum fragen Sie?«
»Es interessiert mich einfach nur. Es könnte doch schließlich sein, daß ihm etwas zugestoßen ist und das der Grund ist, daß er sich nicht mehr bei Ihnen gemeldet hat. Zumindest hätte er doch versucht, Kontakt mit Ihnen aufzunehmen, wenn es stimmt, was Sie sagen, daß Sie sich so sehr geliebt haben. Oder? Ich meine, er wußte, daß er Vater wurde, er hat sich doch auf das Kind gefreut. So jemand haut doch nicht einfach ab, oder?«
Csilla nahm die Flasche, schenkte sich erneut ein und leerte das Glas in einem Zug. »Daß ihm etwas zugestoßen sein könnte, daran habe ich auch schon gedacht. Aber ich habe diesen Gedanken immer wieder verworfen. Ich glaube es auch nicht«, sagte sie. »Er hat sich bestimmt kaufen lassen. Alex war arm wie eine Kirchenmaus, und ein Batzen Geld kann eine Menge bewirken. Wahrscheinlich hat er nur vorgegeben, sich auf das Baby zu freuen und mich zu lieben. Vielleicht sah er von Anfang an nur das Geld, er wußte ja schließlich, daß ich eine Vandenberg bin.«
»Frau Vandenberg«, sagte Brackmann ernst, »wenn Sie möchten, werde ich mich bemühen, etwas über den Verbleib von diesem Alex herauszufinden. Dazu werde ich aber aller Voraussicht nach mit Ihren Verwandten sprechen müssen, denn mir scheint, wenn jemand etwas über seinen Verbleib sagen kann, dann sie. Nur muß ich Sie natürlich fragen, ob Sie das überhaupt wollen?«
Csilla zuckte mit den Schultern. »Sie haben freie Hand. Tun Sie, was Sie für richtig halten. Allerdings möchte ich Ihnen gleich sagen, daß es sehr, sehr schwierig werden wird, mit denen zu reden. Die bringen es glatt fertig, zu behaupten, es hätte nie einen Alexander Höllerich gegeben und ich wäre nichts als ein verwirrtes Geschöpf, das dringend ärztlicher Hilfe bedarf. Sie werden behaupten, sie machten sich große Sorgen, und werden Sie bitten, ihnen meinen Aufenthaltsort zu verraten. Und das nur, weil sie mich unbedingt weiterhin vor der Öffentlichkeit verstecken wollen. Aber wenn Sie ihnen verraten, wo ich bin, dann werden sie mich für den Rest meines Lebens einsperren. Oder sie bringen mich um.« Sie stockte und sah Brackmann fest an. »Aber glauben Sie mir um Himmels willen – ich bin nicht verrückt! Ich war nie verrückt und bin es auch nicht geworden! Ich weiß, ich bin eine Alkoholikerin, und dieser verfluchte Alkohol wird mich noch ruinieren, aber ich bin nicht verrückt!« Sie hielt kurz inne, die Hände gefaltet, betrachtete ihre schlanken, wohlgeformten Finger. An der linken Hand trug sie einen Schlangenring. »Hier«, sagte sie und deutete auf den Ring, »den hat mir Alex zu unserer Verlobung geschenkt. Ich liebe Schlangen. Sie sind so anders als andere Tiere. Haben Sie schon einmal eine Schlange in der Hand gehalten? Sie fühlen sich weich und seidig an. Gar nicht schleimig oder glitschig.« Sie sah auf und lächelte. »Wissen Sie was, ich habe vorhin gelogen, ich glaube nämlich selbst
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