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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Schlafmittel von Esther eingenommen hatte, er schlief bis zum Abend, bis die Sonne untergegangen war. Bis dahin hatten Dieter und Bernd so viele Aufträge für neue Dächer und Dachstühle angenommen, wie sie glaubten, in den nächsten vier Wochen bewältigen zu können. Die meisten der Geschädigten mußten jedoch an Werkstätten in den umliegenden Orten verwiesen werden. Und die Arbeit am eigenen Haus mußte auch noch erledigt werden. »Der Tornado hat uns wenigstens ein gutes Geschäft beschert«, sagte Dieter grinsend.
    »Blödes Arschloch!«
    »Auch keinen Humor mehr, was?!«
    »Halt endlich dein Maul!« brüllte Bernd ihn gereizt an. »Ich mach mir Sorgen um Mutter und um unser Haus, und du faselst hier was von Humor und gutem Geschäft! Wo war denn heute nacht dein Humor, alter Hosenscheißer!«
    Dieter winkte ab, drehte sich um, setzte sich die Ohrenschützer auf und stellte die Sägemaschine an.

Kapitel 26
    Engler stellte bei seinem morgendlichen Rundgang freudig fest, daß am Gotteshaus nichts Wesentliches oder von großem Wert beschädigt worden war. Eines der großen, bunten Fenster war in viele tausend Einzelstücke zerbrochen, und ein paar der erst im vergangenen Herbst gepflanzten Fichten waren aus dem Boden gerissen worden. Der größte Schaden war die aus ihrer Verankerung gerissene Glocke, die sich etwa zwanzig Meter von der Kirche entfernt tief in den Boden gebohrt hatte. Engler war zufrieden. Gott hatte Mitleid mit seinem Haus gehabt.
    Nach der Inspektion machte er sich auf den Weg in die Stadt. Von Meter zu Meter wurde sein Gesicht besorgter.Einige grüßten ihn, andere nahmen keinerlei Notiz von ihm. Einige begegneten ihm jedoch mit offener Feindseligkeit, als trüge er die Schuld an dem Geschehen der vergangenen Nacht.
Warum hat DEIN Gott dieses Unglück nicht verhindert? Wo war DEIN Gott? DEIN Gott ist ein verdammtes Hirngespinst! Wir haben keiner Fliege etwas zuleide getan! Wir haben jeden Sonntag die Kirche besucht! Wir sind gute Menschen!
    Der junge Pfeiffer versperrte ihm den Weg, hielt die geballten Fäuste gesenkt. Pfeiffer war bisweilen ein Hitzkopf, ansonsten jedoch ein liebenswürdiger, hilfsbereiter junger Mann, dessen Temperament nur manchmal mit ihm durchging. Er spuckte Engler direkt vor die Füße. »Na, Pfarrer, mal wieder mit dem lieben Gott unterwegs? Wo war denn Ihr lieber Gott letzte Nacht? Wo hat er sich denn versteckt?« Er schlug ihm die Worte wie Peitschenhiebe ins Gesicht. Engler versuchte, ruhig und besonnen zu bleiben und sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen.
    »Junger Mann, es ist nicht nur
mein
Gott. Und er hat sich auch nicht versteckt, und er wird sich niemals verstecken. Nur, manchmal prüft uns der Herr sehr schwer, und manchmal sind wir nicht in der Lage, diese Prüfungen auch zu verstehen. Sehen Sie die vergangene Nacht als Prüfung.«
    »Prüfung, Prüfung! Glauben Sie vielleicht, mit Ihrem gottverdammten Geschwätz können Sie all jene beruhigen, deren Angehörige krepiert sind? Stellen Sie sich Ihren Gott doch in den Schrank! Er kann mich nämlich mal kreuzweise!« Und dann spuckte Pfeiffer ein zweitesmal aus und stampfte davon.
    Engler sah ihm nach. Er vermochte ihm den Haß und die
schlechten Gefühle
nicht zu verdenken. Welcher einfache Mensch sah schon die Unergründlichkeit Gottes, wer sah schon einen Sinn in einem Unglück wie diesem? War diezurückliegende Nacht eine Strafe Gottes? Hatten die Menschen den Tornado »verdient«? Oder war er wirklich nur eine Prüfung? Oder nichts als ein Naturereignis, das weder mit Gott noch mit den Menschen zu tun hatte? Aber wenn Gott alles geschaffen hatte, das Universum, die Erde, die Pflanzen, Tiere und Menschen, wenn die Naturgesetze seinen Befehlen gehorchten, dann konnte er Stürme entstehen und vergehen, Vulkane ausbrechen und erlöschen, die Erde beben und stillstehen, Menschen leben und sterben lassen. Und doch verstanden nur die wenigsten Menschen, am allerwenigsten nach einer solchen Nacht, die Hintergründigkeit und die geheimnisvollen Wege Gottes. Besonders dann nicht, wenn diese Hintergründigkeit so viele Opfer und viele Existenzen gekostet hat.
    Toni stand vor seiner Kneipe, den Besen in der Hand, fegte er Glasscherben und Stücke ausgerissener Dachziegel zusammen. Dabei beobachtete er mit etwas besorgter Miene Engler und den jungen Pfeiffer. Vor Toni auf dem Bürgersteig lag ein riesiger Scherbenhaufen. Engler überquerte die Straße und ging auf Toni zu.
    »Guten Morgen, Toni. Alles gut

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