Der Finger Gottes
Beichtgeheimnis.«
»Gut, wenn Sie kein Vertrauen haben . . .«, gab sich Engler beleidigt.
»Ich habe Vertrauen, Herr Pfarrer. Aber im Moment habe ich dieses Vertrauen allein zu mir.«
»Ich habe verstanden.« Mit langsamen Schritten, die Hände hinter dem Rücken gefaltet, lief Engler die Straße zurück zu seiner Kirche.
Brackmann fragte sich, ob er zu hart gewesen war und verneinte die Frage sofort – hier ging es um Mord und um lebendige Menschen!
Er legte den Gang ein, fuhr in die Stadt zurück. Auf dem Schreibtisch fand er einen Zettel mit einer Aufstellung der bisher registrierten Toten und Verletzten, Stand 9.00 Uhr. 74 Tote, von denen Brackmann die meisten persönlich kannte, 134 Personen waren in Krankenhäuser eingeliefert worden, von denen 14 in Lebensgefahr schwebten, 32 Personen wurden noch immer vermißt. Erschreckend hohe Zahlen für einen kleinen Ort wie Waldstein. Er nahm aufseinem Stuhl Platz, legte die von zahllosen kleinen Wunden schmerzenden Beine auf den Schreibtisch. Kaum saß er, klingelte das Telefon.
»Hier Engler.« Er atmete schwer. »Hören Sie, ich habe es mir überlegt. Wenn Sie wirklich so sehr an der Sache interessiert sind, dann kommen Sie heute nachmittag vorbei.«
»Ich werde so gegen zwei bei Ihnen sein.« Brackmann ließ den Hörer auf die Gabel sinken und lehnte sich ein wenig zufriedener als noch vor einer Minute zurück, die Arme hinter dem Kopf verschränkt.
Wenn ihm überhaupt jemand helfen konnte, dann Engler. Er war die reinste Schatzkammer, davon war Brackmann überzeugt. Er hoffte nur inständig, Engler würde es sich nicht noch kurzfristig anders überlegen. Er schaute zur Uhr, kurz vor zwölf, Leutnant Bürger hatte sich für den Mittag angemeldet. Das unsympathische Geiergesicht würde hoffentlich nicht lange bleiben.
Bürger kam Schlag zwölf ins Büro gestürzt, ließ die Tür hinter sich ins Schloß krachen, kam mit harten, schweren Schritten auf Brackmann zu.
»Gut, daß Sie da sind«, bellte er unfreundlich. »Meine Männer und ich haben die Lage in der Stadt unter Kontrolle. Es wird noch ein oder zwei Tage dauern, bis die gröbsten Schäden beseitigt sind. Seuchengefahr besteht im übrigen keine, da die Wasserversorgung und die hygienischen Verhältnisse in Ordnung sind. Meinen Zettel mit der Aufstellung der bisher gefundenen Toten und Verletzten haben Sie sicherlich gefunden. Außerdem haben wir ein paar Plünderer geschnappt, die die Situation auf ihre Weise ausnutzen wollten. Sie werden sich vor Gericht zu verantworten haben und schwer bestraft werden, dafür werde ich sorgen. Waldstein ist zum Notstandsgebiet erklärt worden. Der Kanzler hat seine Hilfe zugesagt. Wenn Sie noch Fragenhaben, dann finden Sie mich im Ort. Meine Männer wissen immer, wo ich mich aufhalte.« Nach den letzten Worten drehte er sich abrupt um und marschierte davon, ohne Brackmann die Möglichkeit zu geben, auch nur eine Frage zu stellen.
Was wollte er eigentlich von mir? Nur sehen, ob ich auch im Büro bin? Arschloch, blödes! Wir haben die Lage unter Kontrolle! Wir haben die Lage unter Kontrolle!
Aber Brackmann beschloß, sich nicht länger über diesen Idioten aufzuregen. Er hatte Hunger. Er würde rüber zu Toni gehen und eine große Pfanne Rührei mit Schinken bestellen, dazu ein kühles Bier trinken.
Toni war bis auf zwei Soldaten allein in seiner Kneipe. Er langweilte sich. »Kein Willy?« fragte Brackmann und nahm Platz.
Toni zuckte nur mit den Schultern. »Keine Ahnung, er ist noch nicht aufgetaucht.«
»Der kommt doch sonst immer um die Mittagszeit.«
»Ich habe mich auch schon gefragt, wo er stecken könnte. Vielleicht ist ihm was passiert. Wäre ja kein Wunder.«
»Ich habe vorhin eine Liste mit den Opfern bekommen. Er steht jedenfalls nicht drauf. Wird wohl noch kommen, Willy, meine ich. Und wie ich sehe, ist der Kelch noch mal an Ihnen vorübergegangen. Nichts weiter kaputt, oder?«
»Kleinigkeiten. Wissen Sie noch, wie wir gestern über Willy gelästert haben? Scheint, als wäre der alte Säufer tatsächlich der einzige gewesen, der’s gewußt hat. Aber zu Ihnen – was zu essen?«
»Rührei und Schinken, und ein Bier.«
»In Ordnung, kommt gleich.« Toni verschwand in der Küche und kehrte fünf Minuten später mit einer Riesenportion Ham and Eggs und Brot zurück. Eine Flasche Ketchup stellte er neben den Teller.
»Lassen Sie sich’s schmecken«, sagte Toni, setzte sich aufden Stuhl neben dem Fenster und sah hinaus. »Ich hätte mir wirklich
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