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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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die Karaffe mit dem Sherry und ein Glas heraus.
    Er hatte Brackmann den Rücken zugewandt und fragte, bevor er die Tür schloß: »Nicht doch einen?«
    »Meinetwegen, aber nur einen kleinen.« Engler nahm ein weiteres Glas heraus, schenkte ein, prostete Brackmann zu, trank das Glas auf einen Zug leer, behielt es aber noch in der Hand und drehte es langsam zwischen den Fingern. Der Blick des Pfarrers war ruhelos, auch wenn er sich Mühe gab, seine Nervosität zu verbergen.
    »Ich habe noch nie vor einer solchen Entscheidung gestanden, müssen Sie wissen. Ich sehe jedoch ein, daß es hier in der Tat um Wichtigeres geht als die verstorbene Frau Olsen. Und natürlich haben Sie recht, wenn Sie behaupten, daß die Lebenden Vorrang haben. Also, ich bin bereit. Stellen Sie mir Ihre Fragen.« Er stellte das Glas auf den Tisch, lehnte sich zurück, faltete die Hände und sah zur Decke.
    »Sie kennen meine Fragen. Ich will nur wissen, was Sie von Maria Olsen erfahren haben.«
    »Sie kam am Sonntag abend. Sie blieb fast sechs Stunden, es war so gegen halb drei Uhr morgens, als sie wieder ging. Und in dieser Zeit hat sie mir fast ihr gesamtes Leben anvertraut, von ihrer Kindheit bis jetzt. Als sie geendet hatte, war mir klar, daß ich nichts, aber auch gar nichts von ihr gewußt hatte.« Er seufzte, schenkte sich ein weiteres Glas ein, Brackmann hatte an seinem noch nicht einmal genippt. Er machte eine ausholende Handbewegung. »Sie hatte weiß Gott kein leichtes Leben, die arme Frau, auch wenn es ihr, zumindest in materieller Hinsicht, an nichts gemangelt hat. Sie besaß ein schönes Haus, konnte sich feine Kleider leisten, nein, nein, Geld hatte sie genug. Aber ehrlich, Brackmann, was ist schon Geld, wenn es hier drin nicht stimmt?« Er klopfte sich mit der Faust auf die Brust. »Sie hat viel geweint, die Ärmste, sie hat geweint, weil sie verzweifelt war, unzufrieden mit sich und ihrer Lebenssituation. Ich kann jetzt unmöglich ihr ganzes Leben vor Ihnen ausbreiten, dazu bin ich einfach nicht berechtigt, aber soviel steht fest – das Leben dieser Frau war nicht gerade von Sonnenschein erfüllt. Wissen Sie, als sie sich alles von der Seele redete, war es, als spürte sie ihr nahes Ende, aber das begriff ich wirklich erst, als Sie mir die Nachricht von ihrem Tod überbrachten. Wenn ich zurückdenke, dann saß sie vor mir wie eine Frau, die genau fühlte, daß die Zeit, die ihr auf dieser Erde noch blieb, sehr, sehr kurz sein würde. Es lag an der Art und Weise, wie sie sprach, man könnte sagen, es war wie ein gesprochenes Testament, eine allerletzte Beichte, verbunden mit der Hoffnung, daß ihr alles, was sie in ihrem Leben falsch gemacht hatte, dadurch vergeben würde . . .« Er nahm einen Schluck, holte aus der Schublade seine Pfeife und Tabak, und während er sie stopfte, fuhr er fort: »Aber sie hat nicht viel falsch gemacht. Dazu warMaria Olsen eine viel zu standhafte, moralisch einwandfreie Frau. Ich glaube, es gibt kaum einen Menschen in Waldstein, der so wenig zu beichten hätte.« Er hielt kurz inne, zündete ein Streichholz an, nahm ein paar Züge an der Pfeife, ein angenehmer Geruch breitete sich aus. Er trank aus, stellte das Glas vor sich, schenkte den Rest aus der Flasche ein, sein Blick war auf die rote Flüssigkeit gerichtet. »Sie hat mir natürlich von diesem Alexander Höllerich erzählt, und es tut mir leid, wenn ich mich in Ihren Augen da nicht ganz korrekt verhalten habe, aber ich mußte erst mal selbst damit klarkommen. Die Geschichte mit diesem Höllerich war für Maria Olsen eine geradezu unglaubliche Bürde. Wenn es stimmt, was sie mir anvertraute –, und ich habe keinen Grund, an ihren Worten zu zweifeln –, dann hat sich das Ganze vor gut sechs Jahren zugetragen. Maria hat einen ihrer häufigen Spaziergänge entlang des Steinbruchs und der Felder gemacht . . . Dabei habe sie drei Männer bemerkt, die sich am Kofferraum eines Autos zu schaffen machten. Zwei von ihnen kannte sie nur vom Sehen, den dritten Mann jedoch persönlich. Seinen Namen hat sie mir jedoch leider nicht verraten, sie hat gemeint, er täte im Prinzip auch nichts zur Sache, denn der Mann habe mit dem Ereignis direkt ganz sicher nichts zu tun gehabt. Maria Olsen behauptete jedenfalls, gesehen zu haben, wie ein Teppich mit einem offensichtlich toten Körper ausgeladen wurde. Wobei sie sicher war, daß es sich dabei um diesen Höllerich handelte. Das war alles, mehr weiß ich auch nicht.«
    Brackmann hatte aufmerksam zugehört, und

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