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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Napoleoni
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und einer quasi »nordischen« Disziplin. Die Kollegen im Norden vertrauen ihnen. Zumindest tun sie so. Diesen Fehler werden sie zehn Jahre später teuer bezahlen. In Italien beschnitt die Regierung Prodi die Verschwendung von Staatsgeldern, kürzte die Ausgaben der öffentlichen Hand und präsentierte einen Staatshaushalt, der in Bonn offenen Neid erregte. Doch Fiskaldisziplin ist offensichtlich kein Teil mediterranen Erbguts: Die Steuerhinterziehung geht in diesen Ländern munter weiter. Das Wachstum lässt auf sich warten, und sobald die politische Rechte in Italien wieder an die Regierung kommt, wird das geborgte Geld einfach wieder ausgegeben.
    Der Zugang zu günstigen Krediten, den der Euro-Beitritt ermöglichte, hätte eigentlich die Wirtschaft in den mediterranen Ländern ankurbeln sollen. Damals hätte man eine rigide Sparpolitik betreiben müssen, nicht heute, wo die immensen Staatsschulden die Bewegungsfreiheit massiv einengen. Doch in Ländern, in denen Korruption und schlechte Regierungsführung an der Tagesordnung sind, kann sich die Idee, heute zu sparen, um morgen wieder etwas zum Ausgeben zu haben, nicht durchsetzen. Ganz im Gegenteil: Man gibt das Geld aus, wenn es da ist. Genau das ist in Italien passiert, einem Land, das seit mehr als vierzig Jahren unter Haushaltsdefiziten leidet. Von 1993 bis 2000, also vor dem Beitritt zur Euro-Zone, nahmen die realen, inflationsbereinigten Staatsausgaben um insgesamt 5,14 Prozent ab. Dies ist natürlich auch auf die Anstrengungen zurückzuführen, die das Land unternahm, um in die Währungsunion aufgenommen zu werden. Kaum ist es so weit, ist Schluss mit der Disziplin. Von 2001 bis 2008 nehmen die Staatsausgaben um 20 Prozent zu. Der Primärsaldo, der – wie wir gesehen ha ben – die Spanne zwischen Staatseinnahmen und den um den Schuldendienst bereinigten Staatsausgaben anzeigt, sinkt von 65 Millionen Euro im Jahr 2001 auf 38 Millionen im Jahr 2008. 2009 und 2010 wird er gar negativ. Und die Moral von der Geschicht’: Die Zugehörigkeit zur Euro-Zone hat die Verschwendung von Staatsgeldern gefördert.
    Die niedrigeren Zinsen in der Euro-Zone ermuntern also zum unsinnigen Wirtschaften, denn der Staat gibt mehr Geld aus, ohne sich Entwicklungsziele zu stecken. In Spanien beispielsweise errichtet der Staat in urbanen Zentren wie Madrid Tausende von Wohnungen an der Peripherie, die niemand dort braucht, sodass sie heute leer stehen – echte Geisterstädte. Man baut gewaltige Flughäfen, auf denen nie auch nur ein einziges internationales Flugzeug landet. Von den Mittelmeerküsten gar nicht zu reden, an denen nur noch eine simple Gleichung gilt, die zumindest den Anschein von Fortschritt erweckt: Beton plus Korruption der Beamten ist gleich Reichtum. In Marbella zum Beispiel wurde gegen 95 Beamte der Stadtverwaltung ein gewaltiger Korruptionsprozess angestrengt. Auch bei den klassischen Wohlstandsindikatoren in den einzelnen europäischen Ländern klafft die Schere immer weiter auseinander. Paradoxerweise sind wir heute von den Konvergenzkriterien weiter entfernt, als wir es 1999 waren, bevor der Euro Wirklichkeit wurde.
    Aber die Regierungschefs Europas wollen nicht, dass diese Tatsache bekannt wird. Daher braucht es ein paar Kunstgriffe bei der Erstellung des Staatshaushalts. In Griechenland zum Beispiel lässt man im einen Jahr einfach ein paar Staatsausgaben weg, im anderen »vergisst« man, die Kosten für die Krankenhäuser mit aufzunehmen usw. In Italien läuft es nicht anders, in Portugal, Irland und Spanien ebenso. Doch keiner merkt es, weil in Brüssel niemand die Bilanzen der Mitgliedsländer prüft. Als im Jahr 2009 die Eurostat, das statistische Amt der EU, das griechische Haushaltsdefizit einmal nachrechnet, kommt man dahinter, dass es für das Jahr 2009 bei 12 Prozent des BIP liegt, also die Vorgabe der Maastricht-Kriterien ums Vierfache überschreitet. Warum hat man vorher keine Kontrollen durchgeführt? Und hätte es überhaupt etwas genutzt, falls man es getan hätte?
    Die Hochfinanz verkündet, die Kontrollorgane der EU wie zum Beispiel die Eurostat hätten weder die Kapazitäten noch das Wissen, um die Buchungstricks der privaten Geschäftsbanken aufzudecken. Und das stimmt. Denn die privaten Geschäftsbanken emittieren ununterbrochen geschickt geschnürte Papiere, mit denen Staaten die Maastricht-Kriterien umgehen und so de facto ihre Bilanz fälschen können.
    Die Ökonomie ist zwar keine exakte Wissenschaft, einige feste Regeln kennt sie

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