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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Napoleoni
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südlichen Mittelmeers ihren Blick nach Europa. Sie hofften, dass die politischen Kräfte dort ihnen in ihrem Kampf um Unabhängigkeit beistehen würden. Doch das aufstrebende Bürgertum Europas wollte sich vor allem die Taschen füllen. Der Fall des Osmanischen Reiches schien dazu die beste Gelegenheit zu bieten. Europa nistete sich in Nordafrika und im Vorderen Orient ein.
    Die Ersten, die davon betroffen waren, waren die Ägypter. Ägypten ließ sich vom Virus des Schuldenmachens anstecken und endete schließlich in den Fängen europäischer Bankiers. Es lohnt die Mühe, diese Geschichte ein wenig ausführlicher zu erzählen, da sie dem ähnelt, was im Augenblick in Griechenland und Portugal passiert.

5 Die Pest des Schuldenmachens
    Wir schreiben die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Muhammad Ali, der Khedive oder Vizekönig des Osmanischen Reiches, und sein Neffe Ismail wollen Ägypten aus dem Herrschaftsbereich der osmanischen Sultane lösen und das europäische Erfolgsmodell einführen. Die Modernisierung des Landes soll auf zwei Grundpfeilern ruhen: einer Verfassung und einer repräsentativen Regierung. Kurz: konstitutionelle Monarchie und ein Parlament, das vom Volk gewählt wird.
    Doch die Modernisierung verschlingt Unmengen Geld, und so wendet sich Ismail an europäische Banken, um seinen Traum von der Unabhängigkeit finanzieren zu können. Diese klären den jungen Regenten nicht ausreichend über die Risiken einer solchen Finanzierung auf. Innerhalb weniger Jahre häuft Ismail einen Schuldenberg von 100 Millionen Pfund an, eine Summe, die er nie wieder zurückzahlen kann. Durch die Zinszahlungen versinkt er Jahr für Jahr tiefer im Schuldenberg. Genau das also, was heute in den Defizitländern Europas geschieht.
    Die Schulden wachsen ins Unendliche und beeinflussen schließlich Ismails politische Entscheidungen. 1871 hatte er ein neues Gesetz erlassen, das Muqabala-Gesetz: Es gab den Grundbesitzern die Möglichkeit, ihre Steuern dauerhaft um 50 Prozent zu reduzieren, wenn sie die Steuern für sechs Jahre im Voraus beglichen. Das Gesetz erwies sich bald als katastrophal für Ismails Finanzen: Das Muqabala-Gesetz trug ihm gerade einmal 2,5 Millionen Pfund Sterling ein, mit denen er die Zinsen auf seine Kredite bezahlte. Doch dafür halbierte er die Einnahmen des Staates aus landwirtschaftlichen Betrieben, die damals die Haupteinnahmequelle Ägyptens waren.
    Im Jahr 1873 wird Ismail wieder bei den europäischen Banken vorstellig, weil er die Unabhängigkeit Ägyptens vom Osmanischen Reich erkaufen will. Zwei Jahre später allerdings dreht man ihm unnachsichtig den Kredithahn zu. Die Banken zwingen ihn, ihnen seine sämtlichen Vermögenswerte zu überschreiben, darunter auch die Aktien des Suezkanals. Für den lächerlichen Betrag von 4 Millionen Pfund Sterling wird Großbritannien Hauptaktionär des Kanals.
    Wie in den europäischen Defizitstaaten sind es die Bürger, die die Last der Fehlentscheidungen ihrer Regierenden zu schultern haben. Im Ägypten des 19. Jahrhunderts sind dies vor allem die Bauern. Zwischen 1877 und 1878 sinkt der Pegel des Nils drastisch ab, was die Landwirtschaft in Mitleidenschaft zieht. Es kommt zur Krise. Obwohl Ismail seine Zinsen regelmäßig bezahlt hat, nutzen die europäischen Banken die Gunst der Stunde: Sie fordern ihre Regierungen auf, in Ägypten einzumarschieren, um Landbesitz als Sicherheiten zu reklamieren. Die Gläubigerländer Ägyptens tun sich zusammen und bilden ein Staatenkonsortium – eine Art Vorläufer des IWF –, das von nun an über die Finanzen Ägyptens entscheidet. In Wirklichkeit allerdings wird das Konsortium zum Machtinstrument in Händen jener Staaten, die das Land unter sich aufteilen wollen.
    Doch diese Parallele ist nicht nur von historischem Wert. Der IWF, die EZB und die Weltbank wurden damit betraut, die Probleme der Staaten zu lösen, die ökonomische Hilfestellung beantragt hatten: Portugal, Irland und Griechenland. Mehr als die Hälfte der griechischen Schuldtitel wird von deutschen und französischen Banken gehalten. Man hat Griechenland »empfohlen«, den Staatsbesitz zu privatisieren: Bedienen werden sich westliche und vermutlich auch chinesische Unternehmen. Wie man sieht, ist der Unterschied zwischen dem heutigen Griechenland und dem Ägypten Ismails nicht allzu groß.
    Griechenland am Ende
    Hätten Ismails Untertanen schon über einen Internetzugang verfügt, hätten sie den Lauf der Geschichte vielleicht aufhalten können.

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