Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
Privatschuld, wenn auch mit Staatsgarantie. Und diese taucht in der Staatsbilanz nicht auf.
In der Bilanz der Regionen allerdings ist sie verbucht. Die Frage ist nur: Wie? Die aufgelegten Anleihen laufen dreißig Jahre mit einer jährlichen Zinszahlung von 700.000 Euro: dreißig Jahre mal 700.000 Euro, das gibt 21 Millionen. So entsteht plötzlich wieder Liquidität im System, zudem taucht nur noch ein Gläubiger auf: die Geschäftsbank. Was aber ist nicht mehr sichtbar? Die ursprüngliche Gesamtschuld von 2,7 Milliarden Euro. Sie taucht nur in Form der jährlichen Zinsrate von 700.000 Euro auf. Wir können aus der Bilanz also nicht ersehen, wie viel unsere Kinder und Kindeskinder für unser grottenschlechtes Gesundheitssystem in dreißig Jahren zu bezahlen haben.
Doch die traurige Geschichte des Schuldenmachens ist hier noch nicht zu Ende. In Kampanien kam man, zur Deckung der Schulden der Region, auf die glorreiche Idee, eine neue Steuer aufzulegen: die IRAP, eine regionale Steuer auf die Wertschöpfung der Unternehmen. Was heißt das nun? Dass wir den Produktionssektor belasten, um den Finanzmarkt bezahlen zu können. Die ganze Operation in Kampanien hat die Schulden einfach »gestreckt«, wie es umgangssprachlich heißt. Sie sind nun erst nach einem längeren Zeitraum rückzahlbar. Durch diese Operation wurde kein realer Wert geschaffen, nur Geld hin und her geschoben. Stünde dahinter der Wille, die Schulden des Gesundheitssektors endlich abzutragen, wäre noch kein Schaden angerichtet. Doch so ist es nicht: Danach stiegen die Schulden weiter, weil das System ineffizient ist und, statt Werte zu schaffen, einfach nur Geld verbrennt.
Was heißt das nun? Dass wir von Betrügern regiert werden und dass die Schulden der öffentlichen Hand weit höher sind, als wir wissen. Die Bilanzen des Staates und seiner Organe sind Momentaufnahmen. Es ist gar nicht so einfach, darin die Zeichen zu erkennen, die zeigen, dass sich mit Hilfe einer Operation wie der eben geschilderten am Ende der Schuldenberg vermehrt hat. Noch schwieriger ist es herauszufinden, wieso. Alle großen Geschäftsbanken boten den Defizitstaaten Europas Interventionen wie diese an. Daher sind die Schulden der PIIGS-Staaten mit Sicherheit weit höher, als wir bislang wissen. So erklärt sich auch, wieso beispielsweise im Frühjahr 2011 fünf zusätzliche Milliarden Euro an Schulden in den griechischen Bilanzen aufgedeckt wurden. Solche Belastungen kommen nicht aus dem Nichts. Bei der Kontrolle der Bilanzen in den betroffenen Staaten werden sich davon noch weit mehr finden.
Wenn Staaten sich finanziell zu weit aus dem Fenster lehnen
Currency Swaps sorgten also dafür, dass Griechenland 2001 in die Euro-Zone aufgenommen wurde. Ein Jahr später als Prodis Italien, das es mit Hilfe derselben Tricks (diesmal gemanagt von Goldman Sachs und J. P. Morgan) und des Ausverkaufs von Staatsbesitz schon Ende der neunziger Jahre in den Club schaffte. Nach außen hin ist bei beiden Staaten alles in bester Ordnung. Sowohl Italien als auch Griechenland präsentieren ein Defizit bzw. eine Neuverschuldung, die unter den vom Maastricht-Vertrag festgesetzten Werten liegt. Pech, dass dies streng genommen nur durch geschickte Bilanzfälschung möglich war.
Natürlich wissen die Finanztechnokraten beider Länder Bescheid, aber sie hüten sich, etwas davon verlauten zu lassen. Die Finanzminister sind die Einzigen, die eine objektive Vorstellung von den wahren Ausmaßen der Staatsschuld haben. Sie haben ein sogenanntes Swap Book , in dem alle Operationen dieses Typs registriert werden. Nicht einmal das Parlament weiß Genaues über die Machenschaften. Tatsächlich gibt es keine wie auch immer geartete Verpflichtung, diese Swapgeschäfte in Staatsdingen offenzulegen. Sie müssen auch nicht genehmigt werden. Wenn Mario Monti heute sein Swap Book der Öffentlichkeit zugänglich machen müsste, dürften sich die Italiener vermutlich, was Staatsschulden angeht, auf ein paar böse Überraschungen gefasst machen – wie die Bevölkerung in allen PIIGS-Staaten.
Die großen Ratingagenturen wie Moody’s, Standard & Poor’s und andere sind ebenso wie die großen Investmentbanken (die den Regierungen immer noch Instrumente für diese Art der Bilanzkosmetik verkaufen) natürlich über diese Vorgänge informiert. Doch auch sie schweigen. Denn Erstere leben davon, dass sie Letzteren ihre Produkte verkaufen. Auch zwischen diesen beiden Marktteilnehmern gibt es nahezu inzestuöse
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