Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
aber doch. Die Tatsache, dass Griechenland, Spanien, Portugal, Irland und Italien zehn Jahre lang Teil einer Währungsunion waren, deren Kriterien sie nicht erfüllten, zieht katastrophale Konsequenzen nach sich. Daher ist es mehr als gerechtfertigt, dass die Empörung in Europa sich gegen die Politiker richtet, gegen Institutionen der EU und die Brüsseler Bürokraten. Ein Teil der Verantwortung für die Krise, die auf unserem Rücken ausgetragen wird, liegt nämlich bei ihnen.
Die Hauptprotagonisten dieser modernen Tragödie sind tatsächlich die Investmentbanken. Sie waren es, die den europäischen Regierungen die Instrumente lieferten, um die Staatsbilanz zu fälschen.
In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre kamen die sogenannten Currency Swaps auf den Markt. Diese Papiere dienen dazu, einen aufgenommenen Kredit zu verschleiern, indem man ihn in die Zukunft verlagert. Von Goldman Sachs bis zu J. P. Morgan, von der Deutschen Bank bis hin zum Crédit Lyonnais verkaufen alle Großbanken diese Papiere. Das Verfahren ist recht simpel: Der Staat emittiert Anleihen in Dollar oder Yen, die Bank zeichnet sie, tauscht die Papiere allerdings sofort in Euro um – dem Kreditnehmer bleibt die Verpflichtung, das Darlehen in der Währung zurückzuzahlen, in der die Anleihe aufgelegt wurde.
Im Falle von Griechenland wendet 2002 Goldman Sachs dieses Verfahren wie folgt an: Die Bank tauscht die Anleihenwährung zu einem fiktiven Kurs in Euro um, der deutlich niedriger liegt als der reale. Auf diese Weise erhält Griechenland in Euro einen höheren Betrag, als der reale Wechselkurs es rechtfertigen würde. Die Differenz zwischen dem realen und dem fiktiven Währungskurs wird zum maskierten Darlehen, das der griechische Staat zusätzlich aufnimmt. Und das in keiner Bilanz aufscheint.
Natürlich sind die Kosten für diese Taschenspielereien hoch, doch auch die werden maskiert und als Provision getarnt. Da in den Maastricht-Verträgen von Derivaten nie die Rede ist, haben streng genommen weder Goldman Sachs noch der griechische Staat gegen die Kriterien verstoßen, auch wenn die griechischen Politiker ihr Volk ebenso belogen haben wie die anderen Mitgliedsländer. Und die Banken dem fleißig Vorschub leisteten.
Aber natürlich verschenkt die Hochfinanz ihre Gaben nicht. Die Banken wissen sehr gut, dass Griechenland mit diesen Tricks in einen Teufelskreis eintritt, der – wie bei Ismail – letztlich nur im Bankrott enden kann. Warum also sind alle so wild darauf, den Griechen ihre Currency Swaps und ähnliche Produkte zu verkaufen? Weil Athen bereit ist, hohe Gebühren für die Auflegung dieser Papiere zu zahlen. Und weil – man denke an den europäischen Marshallplan – Brüssel am Ende für die Schulden Athens geradestehen wird. Wenn Griechenland seine Schulden nicht mehr bezahlen kann, springt die EU ein, denn der Euro soll bleiben. So zumindest denken die Banker. Wenn man sich die letzten Monate ansieht, behalten sie vermutlich recht. Aber natürlich nur bis zu einem gewissen Punkt. Denn auch die EU hat nicht genug Geld, um sämtliche PIIGS-Staaten zu retten.
6 Kreative Buchführung
Erweitern wir unseren Blickwinkel ein wenig und richten unsere Aufmerksamkeit doch einmal auf den Anleihenmarkt, den Markt also, auf dem Kredite ausgegeben oder aufgenommen werden. Dieser Markt ist riesig, weit größer als die Realwirtschaft weltweit. Hier sind buchstäblich alle vertreten. Die sogenannte »Finanzialisierung« der Wirtschaft brachte es mit sich, dass die Gewinne der westlichen Hochfinanz nicht mehr aus realen Investitionen stammen. Man macht vielmehr Geld, indem man zuerst Geld verleiht und dann die Schuldtitel verscherbelt.
Wenn wir das Portfolio von Unternehmen oder Investoren heute mit dem von früher vergleichen, stellen wir fest, dass Finanzinvestitionen in den letzten hundert Jahren enorm gestiegen sind. Das liegt teils auch an der »Reifung« des Kapitalismus zum Finanzkapitalismus, der Gewinne durch Investitionen auf dem Finanzmarkt realisiert. Vor hundert Jahren wurde hauptsächlich in Infrastruktur investiert: Straßen, Eisenbahnen, Werften. Heute sind die Lokomotiven der Wirtschaft Firmen wie Apple oder Google. Das hat natürlich mit der Finanzialisierung der Wirtschaft zu tun. Heute investiert man lieber in Staats- und Unternehmensanleihen als in Aktien, weil dieses Investment als zu risikoreich gilt. Das liegt unter anderem daran, dass mittlerweile auch die Länder des mediterranen Europa am Markt agieren,
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