Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
trifft keineswegs nur auf die Generation der Jüngeren zu.
Auf YouTube sahen auch die Eltern und Großeltern in Tunesien das Video des Rappers El Général alias Hamada Ben Amor, der Ben Ali entgegenschreit: »Herr Präsident, Ihr Volk stirbt!« Der Song wird zur Hymne der tunesischen Jugendrevolte, Hunderttausende von Menschen klicken das Video wieder und wieder an. Auch die Nachricht, dass Mohamed Bouazizi nach zwanzig Tagen des Leidens gestorben ist, überträgt sich von Mobiltelefon zu Mobiltelefon wie ein Funke, der die Aufständischen verbindet.
YouTube und Twitter haben es geschafft, in Tunesien – einem Land, in dem das Regime seit zwanzig Jahren die traditionellen Medien überwacht – das Informationsmonopol zu brechen. Ohne die digitalen Kanäle hätte die Welt nie vom Ausbruch der Revolution, von der Repression in Bahrain oder von den Protestcamps in Tel Aviv erfahren. Die Bilder und Nachrichten dieses Guerillakriegs, die täglich übers Internet durchsickerten, haben der Welt die Augen geöffnet. So konnte sich zum ersten Mal in der arabischen Welt ein Feuer weit über die Landesgrenzen hinaus ausbreiten. Die Flamme des Aufruhrs sprang von einem Bürger auf den anderen über und weckte – unkontrollierbar für die Institutionen – die Zivilgesellschaft auf.
Eine Kostprobe der unbändigen Kraft der Cyber-Information lieferte uns 2010 WikiLeaks, das die westlichen Regierungen mit Hilfe eines USB-Sticks, eines gut geschützten Servers und eines praktisch nicht zu knackenden File-Sharing-Systems zum Zittern brachte. Was uns Anfang 2011 aber am meisten beeindruckte, war die Rolle der sozialen Netzwerke im Maghreb. Zwar ist es nicht das erste Mal, dass Smartphones zu politischen Zwecken benutzt werden. Man denke nur an die entscheidende Rolle, die Twitter 2009 im Iran bei der grünen Revolution nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni gespielt hat. Nun gilt der Maghreb zwar als rückständiger als der Iran, doch eben hier entfalten die sozialen Medien eine besonders starke Wirkung.
Von allen afrikanischen Ländern ist Tunesien dasjenige, in dem Facebook die weiteste Verbreitung fand. Schätzungen zufolge verfügen über 18 Prozent der Tunesier über einen Facebook-Account. Dies erklärt die Geschwindigkeit der Nachrichtenverbreitung sowie die raschen Standortwechsel der Demonstranten. Der Polizeiapparat hechelt den Aufständischen ständig hinterher, weil er nicht über die nötige logistische Kapazität verfügt, um sie zu stoppen. Aus diesem Grund gelingt es den Ordnungskräften nicht, die Demonstrationen in den Griff zu bekommen. Frustriert von diesem andauernden aussichtslosen Wettlauf, greifen sie schließlich zur Gewalt, am Ende fallen gar Schüsse. Das jedoch geschah nicht nur in Nordafrika, sondern auch in England, wo die Polizei nicht Herr der Lage wurde. Videoaufnahmen zeigen, dass Londons Straßen in Flammen stehen. Mit der gleichen atemberaubenden Geschwindigkeit, mit der auf Twitter Nachrichten die Runde machen, wird gefilmt und ins Netz gestellt. So wohnt die Welt fast in Echtzeit den Vorgängen in den Städten bei, wo die Jugend protestiert. Das Internet wird zu einem nicht zu übertreffenden medialen Resonanzkörper.
Angesichts dieses Szenarios hat es wenig Sinn, die traditionellen Informationsnetzwerke wie Fernsehen oder Radio zu kontrollieren. Man müsste das Internet zensieren können, um hier noch Einfluss auszuüben, doch das ist nur schwer bis gar nicht möglich. Eine Internetseite, die der Regierung nicht genehm ist, zu sperren ist nutzlos, denn nur wenige Tage später sind schon zehn neue online. Ebendiese Fragmentierung kann eine zentralistische Macht schwächen. Die autoritären Regime haben keinen Einfluss mehr auf die Inhalte, die zum Nährboden für den Protest werden. Und sie werden der Symbole der Protestbewegung wie dem Song des Rappers El Général nicht Herr. Ein harter Schlag für jede diktatorische Propaganda. Allerdings zeigen David Camerons Bemühungen, die sozialen Medien zu blockieren, dass auch demokratische Regierungen versuchen, Einfluss auf das Internet zu nehmen.
Der große Schwindel
Während der Jasminrevolution in Tunesien benutzte »Al Jazeera« die von der Bevölkerung im Internet verbreiteten Informationen als Quelle. Der arabische Fernsehsender eröffnete mehrere Facebook-Accounts und übermittelte dann seine Nachrichten kostenlos auf alle Mobiltelefone. So entstand ein neues Massenkommunikationssystem, ein interaktiver Mix aus
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