Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
guter Ausbildung: Die Arbeitslosigkeit unter den Intellektuellen wächst – und mit ihr die Frustration. An den Machteliten jedoch geht die Krise unbemerkt vorüber.
Der Sturz Ben Alis symbolisiert also den Sieg der Ausgeschlossenen über die Privilegierten. Obwohl Tunesien zwanzig Jahre lang eine durchschnittliche Wachstumsrate von circa 5 Prozent aufwies – mehr als Algerien, das Land mit den vielen Rohstoffvorkommen wie zum Beispiel Erdgas –, kam es dort nicht zur Umverteilung des Reichtums. Das substanzielle Wachstum führte weder zu Gehaltserhöhungen noch zu Verbesserungen im sozialen Bereich wie besseren Schulen oder Krankenhäusern. Die tunesische Revolution kam folglich keineswegs aus heiterem Himmel. Sie hat eine lange Vorgeschichte, die mit der Feder des Konflikts geschrieben wurde. So flackerte der Aufstand schon 2008 im Bergbaugebiet von Gafsa auf, wo es zu mehreren Streiks kam, die immer öfter in Tumulte ausarteten.
Ein skrupelloses Unternehmerbürgertum bereicherte sich hemmungslos, als die Märkte liberalisiert wurden. Diese Leute standen der Macht nahe und waren fest entschlossen, ihre Privilegien zu erhalten und die Konkurrenz mit allen Mitteln auszuschalten. Wenn die Regeln des freien Marktes auf Länder wie Tunesien oder Ägypten angewandt wurden, in denen brutale Diktatoren in enger Komplizenschaft mit dem Geldadel herrschten und herrschen, haben sie manchmal den gegenteiligen Effekt als ursprünglich – zumindest dem Anschein nach – von ihren westlichen Verfechtern intendiert. Sie tragen dazu bei, dass die Armut unter der Bevölkerung wächst. Und dass diese Bevölkerung der Doktrin des freien Marktes voller Hass gegenübersteht, ein Hass, der sich nicht so einfach auslöschen lässt. Deshalb wehrt sich das Ägypten nach Mubarak gegen die Liberalisierung der Wirtschaft. Für die Menschen dort ist sie das Synonym für Misswirtschaft und schlechte Regierungsführung, selbst wenn sie dem Land nutzen könnte.
Das Gleiche gilt für Algerien, ein Land, das vom Verkauf seiner Energieressourcen lebt. Die Kompradorenbourgeoisie, die enorme Import- und Exportströme kontrolliert, zementiert ihre Macht mit Hilfe von Reformen zur Wirtschaftsliberalisierung. Gleichzeitig sucht sie jedes Gesetz zu verhindern, das der Konzentration der wirtschaftlichen Macht in ihren Händen schaden könnte. Diese Machtkonzentration ist die Seele der Korruption: Sie gleicht einer Mühle, die den Reichtum verschlingt und zermahlt, um ihn an einen sehr kleinen Kreis Privilegierter weiterzuverteilen.
Der belgische Journalist Michel Collon beschreibt diese eigentümliche Situation in seinem Blog: »Die algerischen Importe belaufen sich auf insgesamt 40 Milliarden Dollar, wovon acht auf Lebensmittel und zwei auf Pharmazieprodukte entfallen! Hinter jeder Gruppe von ›Kompradoren‹, die auf einen bestimmten Sektor spezialisiert ist, steht ein ausländischer Konzern, ein Staat und selbstverständlich ein wichtiger algerischer Bürokrat und/oder General […]. So werden Wirtschaft und Politik untrennbar vermengt.«
Auf ähnliche Art und Weise festigte die Elite ihre Positionen unter dem Regime von Gaddafi. Die Stammesoberen waren dem Diktator treu ergeben, und die Bevölkerung blieb von der Staatsführung ausgeschlossen. Diese liegt seit dem Jahr 2000 in den Händen der von den Stammesältesten errichteten »Sozialen Volksführerschaftskomitees«. Mit Libyens Rückkehr in die internationale Gemeinschaft ab 2003 und der Übernahme des neoliberalistischen Reformmodells standen diese Organisationen an vorderster Front, wo es um die wirtschaftliche Öffnung des Landes gegenüber dem Westen geht. Sie wurden zur Melkkuh für das Regime und die Stammesoligarchien, die Gaddafi nahestanden.
Die Liberalisierung der Wirtschaft ermöglichte es also paradoxerweise Nordafrikas Eliten, ihre Privilegien aufrechtzuerhalten und ihre Politik des Ausschlusses fortzusetzen.
Als Komplizen fungierten dabei die westlichen Regierungen, die wirtschaftlich davon profitierten, dass sie den arabischen Diktatoren ihre Gunst erwiesen. Auf der Liste der westlichen Unternehmen, die mit diesen Staaten Geschäfte machen, finden sich immer dieselben Namen. Im Prinzip zeigt diese Momentaufnahme der Gesellschaft im Maghreb ein ganz ähnliches Bild wie im europäischen Mittelmeerraum. Die Kaste der Herrschenden treibt auch bei uns ihr Unwesen, sie hat den Staat als Geisel genommen und verwaltet seine Güter. Ist der Unterschied zwischen Europa, Libyen,
Weitere Kostenlose Bücher