Der Flammenengel
Wahrscheinlichkeit nach gedient.«
Ich war plötzlich aufgeregt. Wenn der Rabbi so sprach, kamen wir der Sache langsam näher. »Wissen Sie Genaueres?«
»Leider.«
»Und?«
»Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen sagen soll, da ich es selbst nur durch einen Zufall erfahren habe. Aber sie beten Luzifer an. Sie haben eine Statue von ihm, einen Kopf, und sie versuchen mit seiner Hilfe hinter das Geheimnis der Welt zu kommen.«
»Wo treffen sie sich?« fragte ich.
»Hier in London«, lautete die Antwort. »Oder vielmehr im Großraum London. Bevor Sie nach Greenwich kommen, gibt es eine Insel im Fluss. Sie ist unbewohnt, manchmal auch überschwemmt, aber dort…«
»Sprechen Sie nicht weiter!« Sheila hatte die Worte gerufen und sprang plötzlich auf. Wir starrten sie an und sahen sie immer bleicher werden.
»Was ist denn?« fragte Bill, ihr Mann, besorgt.
»Er kommt. Ja, ich glaube, er kommt.«
»Wer?« wollte Bill wissen.
Sheila ließ sich Zeit mit der Antwort. Sie ging noch einen Schritt zur Seite und stützte sich an der Sesselkante ab. »Uriel«, flüsterte sie. »Es ist Uriel…«
Diese Nachricht schockte uns! Wir wussten, dass Uriel nicht mehr der war, als den wir ihn kannten und mussten deshalb sehr vorsichtig sein. Wenn er tatsächlich auf der anderen Seite stand und manipuliert worden war, bedeutete dies die höchste Gefahrenstufe für uns. Niemand von uns hatte etwas gesagt. Wir standen da, schauten uns an und richteten dann die Blicke auf Sheila, die sich gedreht hatte, so dass sie gegen eines der beiden großen Fenster blicken konnte.
Bill kam auf mich zu. »Glaubst du ihr?« wisperte er.
»Ja.«
»Wo kann er denn sein?«
Diesmal hatte Bill die Frage so laut gestellt, dass auch Sheila sie hören konnte, und sie gab die entsprechende Antwort. »Ja, er ist unterwegs!« hauchte sie. »Ich… ich spüre es sehr deutlich, wir müssen aufpassen, stark aufpassen…«
Moshe Lerner hatte sich aufgerichtet. Sein Gesicht wirkte maskenhaft. Nur die Lippen bewegten sich. »Wenn Uriel sich dem Bösen zugewandt hat, ist das Ende der Welt nahe«, erklärte er mit dumpfer Stimme. »Er kommt, um sein Volk zu strafen und die Flammen des Jüngsten Gerichts auf dem Erdball zu verteilen. Wie steht es noch in manchen Büchern geschrieben? Wenn selbst das Gute sich abwendet und dem Bösen Platz schafft, dann lasst alles im Stich und flieht…«
»Sollen wir auch weglaufen?« fragte ich.
»Es wäre vielleicht am besten«, gab der Rabbi zurück. »Vorausgesetzt, die Frau hat recht.«
»Nein, da bin ich gegen«, sagte Suko.
»Ich ebenfalls!« meldete sich Bill. »Und du, John?«
»Wir können nicht weglaufen!« flüsterte ich. »Wenn es eine Chance gibt, das Grauen zu stoppen, dann vielleicht in den nächsten Minuten.«
»Aber Sie werden es nicht schaffen«, warnte der Rabbi. »Hat es je ein Mensch gewagt, sich einem Erzengel in den Weg zu stellen?« Er kam auf mich zu und umfasste meinen Arm in Höhe des Ellbogens. »Reden Sie, Mr. Sinclair. Hat es ein Mensch je gewagt?«
Ich schaute nach unten in sein sorgenzerfurchtes Gesicht. »Ich weiß es nicht. Und Sie auch nicht.«
»Ja«, flüsterte er, »ich weiß es ebenfalls nicht. Aber ich kenne die Schriften. Ich habe sie nicht nur gelesen, sondern sehr genau studiert, wenn Sie verstehen. Ich hatte Zeit, ich konnte in meiner Kammer sitzen und die Schriften Wort für Wort durchgehen. Es sind sehr düstere Prophezeiungen dabei.«
»Die nicht unbedingt einzutreffen brauchen.«
Der Rabbi trat zurück. »Sie wollen keine Lehre annehmen, Mr. Sinclair«, erwiderte er enttäuscht.
Ich schüttelte den Kopf. »So dürfen Sie das nicht sehen. Wir sind es gewohnt, uns gegen die Kräfte des Bösen zu stemmen. Das heißt, wir kämpfen gegen die Hölle. Wir sorgen dafür, dass sie nicht mit der Übermacht zu-oder zurückschlagen kann, wie sie es gewohnt ist. Der Teufel hat es oft versucht, aber wir haben uns ihm nicht gebeugt. Nein, das haben wir nicht getan und werden es auch nicht tun.«
Der Rabbi war erstaunt. »Was sind Sie für Menschen? Haben Sie denn keine Furcht?«
»Doch, aber wir lernen auch, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Mrs. Conolly hat Schreckliches hinter sich. Sie kennt den Vorhof der Hölle. Sie weiß, wie es ist, wenn sich ein Mensch in den Klauen des Teufels befindet. Aber wer ist schon Asmodis, wenn ich ihn mit Luzifer vergleiche…«
Der Rabbi war zurückgetreten. Er hatte seine Hände ineinander verkrampft. Die langen Finger kamen mir vor wie
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