Der fliegende Brasilianer - Roman
den mit erschöpftem Gesichtsausdruck schlafenden Mann nicht zu wecken.
Alberto!, flüstert eine Stimme nach ein paar Minuten.
Alberto schreckt hoch und steht auf.
Das kann nicht wahr sein! Ich denke, du bist in Nizza!
Ich bin unterwegs umgekehrt und von La Rochelle mit dem Zug gekommen.
Ich verstehe das nicht, ich verstehe das nicht.
Ich auch nicht, ich weiß nur, dass ich wütend war.
Und jetzt ist deine Wut vorbei?
Ja. Ich habe gemerkt, wie idiotisch ich mich benommen habe.
Ich wollte dich nicht verletzen, als ich den Jungen mitgenommen habe.
Ich weiß … denk nicht mehr dran … es ist vorbei.
Sie umarmen sich im dunklen Atelier.
Die Frau, die leichter als Luft ist Der große Tag ist da. Aída, ganz in Weiß, einen geblümten Hut auf dem Kopf, kann kaum ihre Aufregung verbergen, als sie in die Gondel der Nr. 9 steigt. Unten hält Alberto das Schlepptau fest, umringt von den Mechanikern, die auf den Check warten.
Ist der Ballon ordnungsgemäß gefüllt?
Ja.
Kann irgendwo Gas entweichen?
Nein.
Ist die Vertäuung in ordnungsgemäßem Zustand?
Ja.
Ist der Motor in einwandfreiem Zustand?
Ja.
Sind die Seilzüge des Ruders frei?
Ja.
Sind die Seilzüge des Motors frei?
Ja.
Sind die Seilzüge für den Ballast frei?
Ja.
Sind die Seilzüge für das Schlepptau frei?
Ja.
Ist das Luftschiff ordnungsgemäß mit Ballast versehen?
Ja.
Ist das Luftschiff ordnungsgemäß ausbalanciert?
Ja.
Leinen los!
Alberto lässt das Schlepptau los, und die Nr. 9 hebt brummend ab. Das Startmanöver ist sanft, elegant und präzise. Nach und nach verschwindet das Luftschiff in Richtung Bois de Boulogne. Alberto läuft zu dem elektrischen Auto und fährt los. Die Mechaniker fahren in einem anderen Auto hinterher.
Aída sieht hinab auf die Häuser, die Eisenbahnschienen und die winzigen Bauern bei der Feldarbeit. Die kleinen Gestalten halten in ihrem Tun inne und schauen der Nr. 9 nach, die anmutig zwischen den Wolken vorüberzieht.
Die Nr. 9 nähert sich Paris, die ersten Dächer sind schon zu sehen. Aída beweist Sicherheit, sie hat alles unter Kontrolle und im Blick.
Alberto fährt eine Landstraße entlang, die Mechaniker hinter ihm her. Das Luftschiff über ihm fliegt ruhig, es führt sogar ein paar Manöver aus.
Als sie sich dem Stadtteil Passy nähert, zieht Aída eine Schleife. Vor ihr erhebt sich der Eiffelturm. Sie kalibriert das Luftschiff, dreht eine Runde um den Turm und geht dann auf Kurs zum Aéro Club.
Alberto fährt im Aéro Club vor. Er stellt den Wagen ab und wird sofort von anderen Ballonfahrern umringt. Gleich nach ihm hält sein Team an und steigt aus dem Wagen.
Aber … aber Sie sind ja gar nicht da oben.
Nein, ich bin hier.
Das Luftschiff fliegt ja wohl nicht allein.
Und wer ist da oben?
Wer da oben ist? Eine Frau.
Eine Frau? Ausgeschlossen!
Frauen haben für so was keine Nerven.
Aber es ist so, meine Herren.
Die Nr. 9 ist jetzt deutlich zu sehen und steuert auf den Aéro Club zu. Immer mehr Menschen sammeln sich, Techniker und Mechaniker, Neugierige, andere Frauen. Aída setzt die Nr. 9 sanft im Aéro Club auf. Das Schlepptau wird von Dazon und Gasteau aufgegriffen. Ein Raunen geht durch die Menge.
Das ist ja eine Frau.
Ist die mutig!
Oder wahnsinnig.
Aída steigt aus dem Korb und wird von den Frauen umringt, Beifall bricht los. Sie ist glücklich und läuft zu Alberto, um ihn zu umarmen. Der Präsident Archdeacon gibt in besonders feierlichem Ton die Heldentat der jungen Kubanerin bekannt.
Dies ist ein historischer Augenblick, denn wir haben soeben zum ersten Mal erlebt, dass eine Frau allein ein Luftschiff gelenkt hat.
Champagner. Darauf müssen wir mit Champagner anstoßen.
Sie haben recht. Das müssen wir feiern.
Archdeacon kommt mit einer Flasche Champagner. Er lässt den Korken knallen, während ein Kellner Gläser verteilt, die gleich darauf geziemend gefüllt werden.
Auf das Wohl von Mademoiselle …
Aída D’Acosta, ergänzt Alberto stolz.
Auf Mademoiselle D’Acosta, wiederholt Archdeacon.
Nach dem ersten Schluck brandet herzlicher Beifall auf.
Wie mutig! Und wie ein Mann geflogen, sagt die Baronin de Noille.
Warum wie ein Mann?, protestiert Aída.
Nun, damit wollte ich sagen, dass Sie perfekt geflogen sind.
Perfektion ist kein ausschließlich männliches Attribut, Madame.
Nein, natürlich nicht. Aber die Männer glauben, dass wir zu nichts zu gebrauchen sind.
Nun übertreiben Sie aber nicht, Baronin, greift Archdeacon vermittelnd ein.
Aída
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