Der fliegende Brasilianer - Roman
verstehen können? So verrückt ist doch keiner!
Alberto lächelt, wird aber gleich wieder schweigsam.
Willst du es mir, deinem Freund, nicht erzählen?
Es ging nur um eine Lappalie.
Es geht immer nur um Lappalien, hast du das noch nicht gemerkt?
Heute Morgen habe ich einen Jungen an Bord der Nr. 9 mitgenommen.
Das habe ich gehört. Archdeacon hat mich angerufen und sich erkundigt, ob du wahnsinnig geworden bist.
Das war alles. Der Junge fand es herrlich, er war sehr mutig. Vor der Presse, die sich anschließend auf ihn gestürzt hat, hatte er viel mehr Angst.
Morgen steht der Junge in allen Zeitungen.
Aber ihr hat das nicht gepasst.
Ach nein?
Nein, sie war fürchterlich wütend auf mich.
Natürlich, sie muss vor Eifersucht umgekommen sein.
Wegen eines kleinen Jungen?
Nein, nicht wegen des Jungen, sondern weil nicht sie geflogen ist.
Sie hat mich als Exhibitionisten beschimpft.
Aber verdammt noch mal, du hast dich immer gesträubt, jemand mitzunehmen, und dann nimmst du ausgerechnet jetzt, kurz vor ihrem ersten Flug, diesen Jungen mit. Warum das, Alberto?
Was weiß ich, warum? Ich habe die Kinder da gesehen … wie fröhlich sie waren …
Und wenn etwas passiert wäre?
Ich wusste, dass nichts passieren würde, die Nr. 9 ist sehr sicher.
War sie dabei?
Ja, sie hat alles gesehen. Sie war mit dem elektrischen Auto hinter mir hergefahren.
Morgendliche Kühle Am nächsten Morgen stürmt Alberto in Sems Zimmer und zieht die Vorhänge auf. Sein Freund, der unter der Bettdecke liegt, dreht protestierend die Augen von der Helligkeit weg.
Wie spät ist es? Noch nicht zehn Uhr, bist du verrückt geworden?
Ich brauche Hilfe. Sie ist heute nicht zum Hangar gekommen.
Wer, sie?
Mademoiselle Aída! Sie kommt jeden Morgen um acht Uhr zum Hangar.
Wahrscheinlich hat sie sich verspätet, antwortet Sem, schirmt die Augen gegen das scheußliche Morgenlicht ab und fleht seinen Freund an, ihn nicht weiter dieser Tortur auszusetzen. Wer um sechs schlafen gegangen ist, empfindet es als grausam, um zehn geweckt zu werden.
Alberto dagegen scheint die Dinge nicht unter diesem Blickwinkel zu sehen.
Nein, du begreifst nicht, sie will nicht mehr fliegen.
Wer hat dir auch gesagt, dass du einen siebenjährigen Jungen im Ballon mitnehmen sollst!
Sie will nicht mehr fliegen. Sie ist verschwunden.
Mir scheint, du bist wirklich geistesverwirrt.
Die Suche Der Roadster hat im Boulevard Edgar Quinet gehalten, zwei Männer sind ausgestiegen. Der kleinere ist nervös und zwirbelt unentwegt seinen Schnurrbart. Der größere bewegt sich, als wäre er noch nicht ganz wach. Sie betreten ein Gebäude, zwängen sich in einen engen Fahrstuhl und fahren nach oben. Gleich darauf drücken sie auf eine Türglocke. Die Tür geht auf, ein Dienstmädchen erscheint, antwortet mit trockener Gleichgültigkeit auf ihre Fragen und schlägt anschließend die Tür zu. Die beiden Männer sind sprachlos ob der Unfreundlichkeit des Dienstmädchens.
Bestimmt eine Deutsche, bemerkt der Schläfrige.
Das kann sie nicht mit mir machen, beschwert sich der Kleinere.
Und sie klingeln noch einmal. Das Mädchen erscheint wieder.
Wenn Sie nicht auf der Stelle gehen, rufe ich die Polizei.
Ich muss mit Mademoiselle Aída sprechen.
Ich habe doch gesagt, sie ist nicht da.
Das Mädchen schlägt den beiden wieder die Tür vor der Nase zu.
Du willst ja wohl nicht noch mal klingeln, oder?
Die beiden steigen wieder in den Fahrstuhl.
Die Tücken der Liebe Ohne sie ist es trist im Hangar, merkt Alberto. Er hat sich daran gewöhnt, schon in aller Frühe Aída um sich zu haben, und will es nicht einfach hinnehmen, dass sie aus einer puren Laune aus seinem Leben verschwindet.
Die Mechaniker schleichen um ihren Herrn herum und wissen nicht, was sie machen sollen. Petitsantôs ist immer so sehr Mittelpunkt der Arbeit gewesen, dass jede Gemütsveränderung bei ihm die Routine stört.
Eine weibliche Silhouette ist in der riesigen Hangartür erschienen. Alle drehen sich zum Eingang, aber es ist nicht diejenige, auf die sie warten.
Ist das hier, wo eine Näherin gesucht wird?
Eine Welle der Enttäuschung geht durch den Hangar.
Petitsantôs, die Näherin für die Seide von Nr. 7 ist da.
Die einfach gekleidete Frau wartet.
Nächste Woche. Kommen Sie nächste Woche wieder.
Oui, Monsieur.
Der unsichtbare Mann Allein im Halbdunkel des Ateliers liegt Alberto schlafend auf den Sitzkissen. Schritte sind zu hören, jemand betritt vorsichtig das Atelier, um
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