Der fliegende Brasilianer - Roman
ein Ende Chapin, Dazon und Gasteau sehen weinend zu, wie der Hangar in Neuilly abgerissen wird. Auch Antônio Prado steht mit ernstem Gesicht daneben. Während das riesige Balkenwerk, das an ein gigantisches Nomadenzelt erinnert, rasch zerlegt wird, treffen die ersten Reporter ein.
Wo ist Petitsantôs?
Wir haben gehört, er hätte einen Nervenzusammenbruch erlitten.
Die drei Mechaniker stehen niedergeschlagen da und antworten nicht.
Und der Albtraum beginnt Sem sitzt an seinem Zeichenbrett in der Redaktion einer Zeitung, für die er arbeitet. Ein anderer Journalist kommt zu ihm.
Ich soll zwei Seiten über Petitsantôs’ Krankheit schreiben, Sie sind doch sein Freund, was stimmt daran nun eigentlich?
Er ist überanstrengt, er braucht Erholung.
Aber das ist kein Grund, alles aufzugeben. Stimmt es, dass er sogar aufs Fliegen verzichtet hat?
Keine Ahnung, es wird behauptet, ja.
Und was stimmt nun? Was ist tatsächlich los?
Ich habe nicht mit ihm gesprochen.
Wie bitte, er empfängt nicht einmal Sie?
Nein, nicht einmal mich …
Ein Mann von guten Eigenschaften Die Wohnung in der Rue Washington ist fast leer, die Möbel sind praktisch alle abgeholt worden, nur im Erdgeschoss stehen ein paar Kisten und Pakete und warten auf das Transportunternehmen. Jemand klingelt. Der Butler schleppt sich bedrückt zur Tür und öffnet. Es ist Antônio Prado.
Wie geht es ihm?
Gut, es war besser, dass er zu uns gekommen ist.
Sie haben recht, hier steht ständig jemand von der Presse vor der Tür.
Ist alles gepackt?
Ja, Monsieur.
Dann können wir das Haus also morgen übergeben.
Traurig kommen die anderen Hausangestellten dazu und sprechen Antônio Prado an.
Monsieur …
Ja?
Könnten wir uns vielleicht von ihm verabschieden?
Ich will sehen, was ich tun kann.
Wir haben ihn sehr gern. Wir wollten nicht, dass er uns vergisst.
Das weiß er … und er wird euch nicht vergessen …
Ein Pionier der Industrie Ich konnte es nicht glauben, sollte sich Voisin später erinnern. Petitsantôs gab die Fliegerei auf. Dafür gab es keine triftige Erklärung. Auch wenn er ein Mann voller Rätsel und Widersprüche war, dieser Rückzug wirkte auf uns alle wie eine Niederlage. Petitsantôs war unser aller geliebter Ritter der Lüfte, der Rebell, der sich immer gegen den Wind stellte. Wenn er uns nun verließ, bedeutete dies, dass etwas nicht stimmte. Meine letzte Begegnung mit ihm fand, glaube ich, bei einem Mittagessen im Aéro Club statt. Er war schweigsam, so wie immer, aber gegen Ende setzte er sich zu mir und fing an, von Vergangenem zu sprechen. Ich war etwas überrascht, aber auch stolz. Petitsantôs behandelte mich wie seinesgleichen. Bei dieser Gelegenheit, erinnere ich mich, erzählte er mir von seinen Missgeschicken mit Mademoiselle Lantelme, der Schauspielerin, und wie sehr er mich verdächtigt hatte. Ich versicherte ihm, dass ich nie irgendeinen Kontakt zu besagter Dame gehabt hätte, und er schien zufrieden zu sein. Ich kann so etwas nicht beurteilen, aber ich glaube, Petitsantôs’ größtes Problem war sein Perfektionismus, auch wenn seine Kriterien für Perfektion sehr persönlicher Art waren. Bald nach dem Flug der grundhässlichen 14-Bis nahmen die Dinge im Flugwesen einen anderen Lauf. Entgegen Petitsantôs’ Annahme, die Fliegerei würde sich zu einer technisch raffiniertere Ausformung dieser Sportart entwickeln, wurde sie stattdessen immer praktischer, immer stärker industrialisiert, machte hohe Investitionen erforderlich und weckte zum ersten Mal das Interesse der Regierungen. Ich glaube, für seine – im Übrigen für mich bei ihm unverständliche – aristokratische Einstellung war diese neue Realität ein Schock. Petitsantôs widersetzte sich der beginnenden Industrialisierung der Fliegerei, sein Individualismus, den er sehr gut dadurch kaschierte, dass er seine Erfindungen der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte, war mit der Industrie unvereinbar.
In kaltem Licht In der Obhut der Prados verbringt Alberto die Tage in einem Polstersessel sitzend, im Zimmer herrscht Halbdunkel, sein Blick verliert sich im Unendlichen. Der Tee mit Keksen aus Maniokmehl, die er so liebt, bleibt unangetastet. Mit Ausnahme der leichten Voile-Gardine vor dem Fenster, die sich ständig im lauen Sommerwind bläht, bewegt sich nichts in diesem traurigen Ambiente. Eines Morgens dringt eine weibliche Gestalt, die ihre nervösen, feuchten Hände verbirgt, in einem grauen Kleid in die erstarrte Atmosphäre ein.
Weitere Kostenlose Bücher