Der Fliegenfaenger
für mich riskiert hatte.
»Raymond«, hörte ich die Stimme des Pflegers Brendan wie von weit weg. »Raymond, schau mal, wer gekommen ist! Hallo, du hast Besuch!«
Aber ich wollte nicht gestört werden. Ich wollte nur daliegen, mit geschlossenen Augen, ganz weit weg von allem.
Aber Pfleger Brendan rüttelte mich sanft an der Schulter und sagte: »Na komm schon, Raymond. Schau mal, wer da ist!«
Und ich dachte: Wenn ich ganz kurz die Augen aufmache und den Besuch anschaue, wer immer es ist, lässt Pfleger Brendan mich vielleicht in Ruhe. Also konzentrierte ich mich, konzentrierte mich ganz stark, öffnete mühsam die Augen und schaute hin. Und da sah ich ihn am Fußende des Betts stehen. Und ich brüllte los, und Pfleger Brendan versuchte mich zu beruhigen und meinte, das komme wohl von der Gehirnerschütterung. Aber es kam nicht davon, und ich ließ mich nicht beruhigen, denn am Fußende meines Betts stand ein Mutant, ein Mutant, der mich holen kam, und ich sagte es dem Pfleger, ich sagte zum Pfleger: »Der soll weg, der soll weg, der soll weg.« Ich strampelte und zappelte im Bett, wollte fliehen, mich bewegen, fliehen, fliehen. Doch Pfleger Brendan ließ mich nicht und drückte mich aufs Bett zurück und rief nach Unterstützung. Und ich brüllte und brüllte und schrie weinend: »Der Mutant hat meine Mam gekidnappt, der Mutant ist schuld, dass ich gestürzt und durchs Eis gebrochen bin!« Und ich schrie, die Mutanten wollten die Welt beherrschen! Meine Welt. Ich schrie und wehrte mich und Brendan versuchte mich immer noch fest zu halten. Und plötzlich war überall Blut, und Brendan hielt sich die Hand vor die Nase, und zwischen seinen Fingern sickerte Blut durch, und dann erschienen andere Pfleger und packten mich und drückten mich aufs Bett, während ich brüllte, immer weiterbrüllte: »Das ist der Mutant, das ist der Mutant; der Mutant, wegen dem ich durchs Eis gebrochen bin, der Mutant, der meine Mam gekidnappt hat; und jetzt steht er dort, da unten am Bett und will mich holen!«
Ich wollte es ihnen erklären. Ich versuchte es. Aber sie hörten nicht zu. Und je mehr ich schrie und brüllte, desto fester drückten sie mich aufs Bett. Dann sagte irgendwer zu jemand anderm, er solle zurücktreten. Und einer sagte: »Geben Sie mir seinen Arm, geben Sie mir seinen Arm.« Dann stach er mit einer Nadel hinein. Zuerst brüllte ich einfach weiter. Aber dann rückte wieder alles in weite Ferne.
Und das war schön; es war schön, dass alles in die Ferne rückte und meine Augen sich langsam schlossen. Und der Mutant war weg und stand nicht mehr am Fußende des Betts.
Danach wusste ich lange Zeit kaum noch, ob ich wachte oder träumte. Manchmal kam es mir vor, als stünden andere Leute unten am Bett, zum Beispiel meine Mam, die mit den Tränen kämpfte, als sie sagte, ich sei eine Gefahr für mich selbst geworden. Aber das interessierte mich nicht. Mich interessierte nur, wie es ihr wohl gelungen war, den Mutanten zu entfliehen. Als sie nach meiner Hand griff, als sie mir einen Kuss gab, fragte ich sie, wie sie das bloß geschafft habe. Aber sie sah mich nur verwirrt an. Und von dem weit entfernten Ort in meinem Kopf holte ich mühsam die Wörter herbei und sagte: »Spitzenmäßig, Mam. Wirklich absolute Spitze, dass du den Mutanten weggelaufen bist!«
Und da brach sie in Tränen aus. Und sie stammelte, bestimmt werde alles wieder gut, bestimmt gehe es mir bald wieder besser, und wenn die erst mal die richtigen Medikamente rausgefunden und mich stabilisiert hätten, dann würde ich mich nicht mehr so verhalten und dürfe wieder heim.
Dann fügte sie hinzu: »Ted sagt, wenn die dich auf die richtigen Medikamente eingestellt und dich stabilisiert haben, geht es dir wieder gut.«
Da riss ich meine Hand weg; denn jetzt wusste ich, dass diese Person nicht meine Mam war; jetzt wusste ich, dass sie auch eine Mutantin war, eine Mutantin, die sich als meine Mam verkleidet auf die Station geschlichen hatte. Hier war ich nicht sicher! Hier drin war ich nicht sicher! Die Mutanten waren auf dem Vormarsch! Die Mutanten übernahmen die Macht und strömten von überall her, und ich konnte nicht einfach im Bett liegen und warten, warten, bis sie mich holten. Die Frau tat immer noch so, als sei sie meine Mam, und rief: »Raymond! Wo willst du denn hin? Komm zurück ins Bett!«
Aber mir machte sie nichts vor. Ich ging nicht zurück, auf keinen Fall, in welches Bett auch immer. Ich blieb doch nicht hier, wo jederzeit ein Mutant
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