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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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an«, Brendan nickte zum gegenüberliegenden Bett. »Das ist Tony; als der hier eingeliefert wurde, Raymond, war er wirklich verrückt. Er wurde Tag und Nacht verfolgt, und zwar nicht bloß von so ein paar blöden Mutanten. Bei Tony waren es Fische, Piranhas; die kamen von überall her; er konnte nicht baden, nicht aufs Klo, er konnte nicht mal ein Glas Wasser trinken aus lauter Angst vor Piranhas. Aber schau ihn dir jetzt an.«
    Ich schaute den Jungen an. Er saß im Sessel neben seinem Bett und starrte vor sich hin.
    Pfleger Brendan rief: »Tony, wie geht’s dir?«
    Und Tony drehte langsam den Kopf, als müsse er erst mal rausfinden, woher die Stimme kam.
    »Tony!«, wiederholte Brendan. Und jetzt sah der Junge den Pfleger an.
    »Alles okay, Tony?«, fragte Brendan. Und Tony lächelte und nickte langsam.
    »Ich hab es Raymond gerade erzählt«, sagte der Pfleger, »das mit den Fischen, den Piranhas.«
    Tony nickte wieder. Dann sagte Brendan: »Wo sind sie denn, Tony? Wo sind die Piranhas jetzt?«
    Da lächelte Tony und sagte heiser: »Weg!« Er nickte immer noch lächelnd und fuhr schleppend fort: »Die … haben … sich … verpisst. Sind … jetzt … weg, die Fische.«
    »Siehst du!«, sagte Brendan triumphierend zu mir. »Wir hatten sie alle hier auf der Station, Raymond: die CIA, den M15, Aliens, Mörder, Napoleon, die haben Schlange gestanden, um hier reinzukommen und die Patienten zu belästigen. Aber wir haben so unsere Methoden, Raymond. Wir haben unsere Methoden, sie alle in Schach zu halten. Und wenn wir die Piranhas daran hindern können, durchs Klo raufzukommen, Raymond, dann werden wir wohl auch mit ein paar Mutanten fertig.«

    Doch Brendan irrte sich. Selbst wenn sie nicht am Fußende des Betts standen, drangen die Mutanten in meinen Kopf ein, Tausende und Abertausende, und alle hatten das Gesicht und die Stimme von Wilson. Und es war, als sähe ich all diese Mutanten von irgendwo hoch oben, während sie scharenweise auf dieses große, weite Feld strömten, und in der Mitte stand ein großes weißes Zelt, ein Festzelt, und davor standen die Mutanten Schlange und wollten rein. Und obwohl das Zelt aussah, als würde es nicht mehr als fünfzig oder sechzig Leute fassen, strömten Tausende und Abertausende Mutanten hinein. Ich wollte nicht mit; ich wollte nicht in dieses Festzelt hinein. Ich sträubte mich dagegen, ich wollte draußen bleiben. Aber dann schaute ich hinunter, und da das Zelt kein Dach hatte, sah ich Tausende und Abertausende von Mutanten. Und da wusste ich, warum sie hergekommen waren. Es war die Hochzeit! Und vorn sah ich meine Mam. Sie hatte sich bei ihm eingehakt. Und sie wandte sich ihm zu, sah lächelnd zu ihm auf. Und dann hob er einen Schleier vom Gesicht meiner Mam, und Tausende und Abertausende Mutanten begannen zu klatschen, als er seinen Zylinder abnahm und seine riesigen, roten, wulstigen Lippen dem Gesicht meiner Mam näherte! Und ich wusste, ich musste sofort hin, bevor es zu spät war. Ich musste aus diesem Bett und irgendwie zu diesem Feld kommen, um meine Mam zu retten. Ich wusste, dass ich es konnte, ich wusste, dass ich es schaffen würde, ich wusste, dass ich schnell genug laufen konnte, durch die Schmerzgrenze hindurch, dass ich laufen konnte wie flüssig flüssig flüssig. Mühelos mühelos mühelos wie Norman, wie Norman es mir beigebracht hatte, mit dem Kopf laufen, mit dem Atem, mit den Muskeln, und sogar Pirouetten, Pirouetten drehen wie Twinky, laufen, Pirouetten drehen, schweben, schweben, um meine Mam zu retten, meine Mam zu retten.
    Schluck das, schluck das, schluck das, Raymond. Es ist nur eine Tablette. Na gut, na gut, schlucken und weiterlaufen, Pirouetten drehen, schweben, schluck deine Medikamente, schluck deine Medikamente, macht nichts, schluck deine Medikamente … Medikamente … Me…di…ka…men…te … Medi…kam…ente … schlucken … Med…ika…ika… lang… sam … lang…samer … Medik…amen… Medi…kamen…temedi…kamente … schlu…cken … laaaaang…saaaaaaam … jetzt ist es Zeit … jetztis … Jetztzeit … schlu…cken … Medik…aaa…meen…te.
    Alles weg.

    So ging das, Morrissey, nachdem die mich stabilisiert und auf die richtigen Medikamente eingestellt hatten. Nach ein paar Wochen hörten dann die Besuche der Mutanten auf. Nachdem man mich stabilisiert und auf die richtigen Medikamente eingestellt hatte, wurde in meinem Kopf alles langsamer, und das blieb auch so. Es gab keine Mutanten mehr; und falls doch, ließen

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