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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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wissen sollen, dass es mit dem Schlamassel gerade erst losging?

    Mit freundlichen Grüßen
Raymond Marks

    PS: Aber ich möchte dir noch unbedingt sagen, Morrissey, dass ich nichts bereue. Reue nützt keinem was, hat meine Oma immer gesagt. Sie hat gesagt, die Straße zum Selbstmitleid ist mit Reuegedanken gepflastert. Und Selbstmitleid hat noch niemandem was gebracht; das hat auch meine Oma gesagt. »Mit Selbstmitleid, Raymond, hat noch keiner eine Kartoffel geschält gekriegt!« Und das habe ich nie vergessen, Morrissey, ich habe mich immer geweigert, die Straße entlang zu gehen, die mit Reuegedanken gepflastert ist und in eine Sackgasse namens Selbstmitleid mündet. Ich weiß, du wirst mich verstehen, Morrissey, weil es auch in deinem Leben einen Tag gegeben hat, wo alles auseinander brach und dir plötzlich klar wurde, dass du keine Freunde mehr hast. Ich weiß, wie schwer es für dich gewesen sein muss, als sich The Smiths trennten und die Freundschaft zwischen dir und Johnny Marr zerbrach. Obwohl du damals in der Presse kaum darüber gesprochen hast, weiß ich doch, dass es eine furchtbare Zeit für dich gewesen sein muss, die dir viel Kummer bereitet hat. Da gehört man zu einer Band, und selbst wenn man nicht alle andern Bandmitglieder mag, hat man doch alles miteinander geteilt, ist zusammengewachsen und hat sich zusammen weiterentwickelt. Und auch wenn sich manchmal alle gehasst haben und sich am liebsten gegenseitig erwürgt hätten, ändert das nichts daran, dass ihr eine gemeinsame Geschichte habt. Und ich weiß, in jener Nacht, als sich The Smiths so plötzlich trennten, ging auch ein wichtiger Teil deiner eigenen Geschichte kaputt. Die Fans waren am Boden zerstört. Aber auch wenn sie The Smiths noch so sehr geliebt hatten, konnte es für sie doch nicht die gleiche Bedeutung haben wie für dich. Und wenn sie über die Trennung der Smiths auch noch so traurig waren, war es doch nicht ihre eigene Geschichte, die da zu Bruch ging. Ja, ich weiß, ich war selber nie in einer Band, Morrissey, und deshalb denkst du vielleicht, ich könne gar nicht mitreden. Aber ich weiß, wie es ist, wenn die eigene Geschichte in Scherben geht und man wieder ganz von vorn anfangen muss. Und ich bin so froh, dass du genau das gemacht hast, Morrissey; ich bin so froh, dass du nicht einfach sitzen geblieben bist mitten im Scherbenhaufen deiner vernichteten Existenz, dass du nicht kraftlos und verzweifelt mit starrem Blick durch die Trümmer deiner brutal zerstörten jüngsten Vergangenheit geirrt bist. Ich bin so froh, dass du dich wieder aufgerappelt hast, weitergegangen bist und alles hinter dir gelassen hast! Als ich von The Smiths und ihrer Trennung hörte, war meine Oma schon tot. Aber wenn sie noch am Leben gewesen wär, hätte ich es ihr erzählt, Morrissey, und alles über dich und wie du dich wieder aufgerappelt und weitergemacht hast, trotz des Schocks, trotz des Schmerzes und obwohl man dich verhöhnt und von allen Seiten angegriffen hat. Und ich weiß, was meine Großmutter gesagt hätte. Sie hätte gesagt: »Bravo! Bravo, Morrissey! Ich habe schon immer Männer bewundert, die die nötige Charakterstärke besitzen, um der Versuchung des Selbstmitleids zu widerstehen. Denn mit allem Selbstmitleid der Welt hat noch keiner einen Sack Kartoffeln geschält gekriegt. Bravo, Morrissey! Und wenn du ihn mal triffst, Raymond, dann richte ihm von deiner Oma aus, dass er jederzeit willkommen ist, wenn er mal Lust auf einen Tee und ein Gespräch über Oscar Wilde hat, sag ihm das!«
    Jetzt hab ich es dir ausgerichtet, Morrissey. Denn ich weiß, auch wenn meine Oma leider nicht mehr lebt und dich nicht mehr zum Tee einladen kann – sie hätte es gern getan. Und ich weiß, dass du meine Oma gern gehabt hättest. Genau wie ich sie gern hatte.

Busbahnhof Gibbet Street,
Huddersfield,
West Yorks

    Lieber Morrissey,

    so! Hier harre ich nun mit all den andern Unglücksraben der Deportation und ewigen Verbannung nach Gulag Grimsby. Und ich hoffe, dass mein ekelhafter Drecksonkel Jason jetzt so richtig mit sich zufrieden ist! Wetten, er hätte nie zugelassen, dass seine eigenen Kinder in die karge, dürre Einöde von Nord Lincolnshire verbannt werden! Er hat gesagt, es täte mir gut, wenn ich nach Grimsby käme; dieser ekelhafte, entsetzliche, neidische, niederträchtige, schuftige, schäbige Drecksack von Onkel! Das hätte er natürlich nie gesagt, wenn Blödmann Berney oder die Doofe Dolly aus Failsworth vertrieben worden wären,

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