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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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Achseln und sagte: »Psychoanalytiker.«
    Da nickte er und sagte: »Gut. Gut.« Dann runzelte er wieder die Stirn und meinte: »Aber ich frage mich, Raymond, warum du dieses Wort zu ›Analpsychotiker‹ … äh … uminterpretierst?«
    Langsam ging er mir auf die Nerven. Was war schon dabei, ein paar Buchstaben umzustellen und neue Wörter zu erfinden? Na gut, ich hätte es vielleicht nicht sagen sollen, aber ich war meiner Mam immer noch böse, weil sie mich angelogen hatte. Sie hatte es geleugnet, dass sie mich zum Psychiater bringen würde, aber er war Psychoanalytiker. Das war so, als wenn man behaupten würde, die Tapete sei nicht rot, sondern scharlachfarben!
    Er sah mich an und legte die Hände aneinander. Dabei berührte er mit den Fingerspitzen die Nase, als würde er beten. »Außerdem«, fuhr er fort, »frage ich mich, warum du von … sexuellen Dingen … anscheinend geradezu besessen bist.«
    Ich drehte mich um und sah meine Mam an. Aber sie wich meinem Blick aus. Und als ich mich wieder nach vorn drehte, sagte der Analpsychotiker: »Ja, ich habe mit deiner Mutter gesprochen, Raymond. Deine Mam hat mich Anfang dieser Woche aufgesucht. Ich weiß also schon ein bisschen was über dich, Raymond. Ich weiß etwas über deine Familiengeschichte und … über deinen Vater.«
    Jetzt war ich wirklich wütend auf meine Mam. Erst hatte sie mir nicht gesagt, dass sie jemanden aufgesucht hatte! Und dann hatte sie ihm auch noch etwas über meinen Dad erzählt!
    Ich drehte mich wieder nach ihr um und sagte: »Was hast du ihm über Dad erzählt?«
    »Raymond!«, mahnte der Analpsychotiker. »Würdest du dich bitte wieder zu mir drehen?«
    Aber ich sagte zu meiner Mam: »Mein Dad war nicht verrückt! Er war kein bisschen verrückt! Das solltest du Onkel Jason mal sagen, wenn er Dad immer so als Idioten hinstellt! Es stimmt einfach nicht!«
    »Raymond«, meldete sich jetzt wieder der Analpsychotiker zu Wort. »Bitte, Raymond! Du bist hier, um mit mir zu reden, nicht mit deiner Mam.«
    Ich drehte mich um. Es schien mir, als würden die zwei unter einer Decke stecken, er und meine Mam. Es schien mir, als würde meine Mam eher zu ihm halten als zu mir! Er wollte mich anlächeln. Da aber der buschige Bart seine Lippen verdeckte, wirkte es, als ob in einer Ligusterhecke plötzlich eine Zahnprothese auftaucht.
    »Über deinen Vater können wir später reden«, sagte er. »Im Moment sollten wir uns lieber auf andere Dinge konzentrieren, zum Beispiel auf das, was … du am Kanal getan hast, Raymond. Und auf das, was du zu deiner kleinen Kusine gesagt hast.«
    Ich konnte es kaum glauben! Ich konnte es kaum glauben, dass meine Mam ihm das alles erzählt hatte!
    »Denn«, sagte er, »vielleicht zeichnet sich ja hier ein gewisses Verhaltensmuster ab, nicht wahr, Raymond?«
    Ich sagte nichts. Ich saß mit gesenktem Kopf da und starrte die Beine seines Schreibtischs an.
    »Weißt du was, Raymond? Ich bin richtig gespannt«, sagte er. »Mich interessiert, ob … zwischen diesen Dingen, von denen mir deine Mam erzählt hat … hm, glaubst du, dass zwischen den einzelnen Ereignissen ein Zusammenhang besteht?«
    Ich zuckte nur die Achseln.
    »Und kaum kommst du hier herein, Raymond«, fuhr er fort, »nennst du mich schon ›Analpsychotiker‹. Na, hör mal, siehst du da keinen Zusammenhang?«
    Ich sagte immer noch nichts. Ich konnte einfach nicht glauben, dass meine Mam ihm das mit den Fliegen erzählt hatte! Und er saß da, als wisse er ganz genau über mich Bescheid. Von wegen! Er wusste überhaupt nichts! Er hatte bloß ein paar Fakten gehört. Und nicht mal die richtigen.
    »Na komm schon, Raymond«, sagte er und das sollte jetzt so richtig kumpelhaft klingen. »Deine Mam hat mir gesagt, dass du ziemlich intelligent bist. Und so ein intelligenter Junge wie du muss doch eine Meinung dazu haben, hm?«
    Ja, ich hatte eine Meinung. Und meine Meinung war, dass meine Mam mich verraten und verkauft hatte! Meine Mam hatte sicher wieder mit meinem Drecksonkel Jason gesprochen und bestimmt war das der Grund, dass sie mich zum Analpsychotiker schleppte.
    »Raymond!«
    Ich merkte plötzlich, dass der Psychotiker mit mir sprach. Er sagte: »Raymond, es hat wenig Sinn, dass du nur dasitzt und schweigst. Wenn ich dir helfen soll, Raymond, dann müssen wir reden; auch über Dinge, über die du vielleicht nicht reden willst. Zum Beispiel über einiges von dem, was mir deine Mutter erzählt hat.« Dann sagte er: »Hast du irgendeine Vorstellung,

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