Der Fliegenfaenger
Raymond, warum dich deine Mutter hergebracht hat?«
»Ja!«, sagte ich. »Sogar eine ganz genaue Vorstellung. Sie hat mich wegen meinem Drecksonkel Jason hergebracht!«
Da fuhr mich meine Mam an: »Raymond! Dein armer Onkel …«
Aber mir war jetzt alles egal. »Er ist ein Arschloch«, sagte ich, »und das sage ich, weil er dich immer so ärgert! Und der Hund hat überhaupt keine neue Gallenblase gebraucht! Und er sagt immer, dass mein Dad verrückt war, aber mein Dad war nicht verrückt! Und ich bin auch nicht verrückt«, sagte ich.
»Raymond«, unterbrach mich der Analpsychotiker. »Bitte!«
Ich sah ihn nur an und er hob die Hand. »Raymond«, sagte er, »niemand hat behauptet, dass hier irgendjemand verrückt ist!«
»Außer meinem Drecksonkel Jason!«, sagte ich. »Er sagt immer, dass mein Dad verrückt war, aber mein Dad war nicht verrückt, er hatte nur die ganze Süße sonnengereifter Orangen, das ist alles! Aber mein Onkel Jason war immer neidisch, weil er selber bloß eine Grapefruit ist!«
Der Analpsychotiker sah mich nur an und räusperte sich.
»Mein Dad war nicht verrückt!«, sagte ich. »Und ich bin auch nicht verrückt.«
»Raymond«, sagte er, »wir halten hier nicht viel von Wörtern wie ›verrückt‹. Hier geht es nicht um ›verrückt sein‹ und derlei alberne Begriffe. Ich bin einfach hier, um dir zu helfen, Raymond.«
Aber mir brauchte niemand zu helfen, jedenfalls nicht so, wie er mir helfen wollte; indem er mir dumme Fragen stellte und mich wie ein Kleinkind behandelte. Er sagte: »Weißt du überhaupt, was ein Psychoanalytiker macht, Raymond?«
»Ja!«, sagte ich. »Ich weiß genau, was ein Psychoanalytiker macht. Er kastriert Menschen!«
Wieder schlug meine Mam die Hand vor den Mund und rief: »Raymond, um Gottes willen!«
Ich fuhr auf meinem Stuhl herum und sagte: »Na klar! Das hat Oma gesagt! Sie hat gesagt, dass Twinky McDevitt, nachdem man ihn zum Psychoanalytiker geschickt hat, kastriert worden ist, und wenn sie ihn jetzt mit seiner Mutter im Supermarkt sieht, tanzt er nicht mehr an den Pizzas vorbei, sondern schiebt nur noch apathisch den Einkaufswagen vor sich her.«
»Raymond!«, zischte meine Mam und sah mich böse an. Aber es stimmte. Meine Oma sagte, es hätte ihr immer so gut gefallen, wenn der kleine Twinky McDevitt im Supermarkt durch die Gänge tanzte und seine Pirouetten drehte. Und meine Oma sagte auch, man hätte Twinky McDevitt niemals zum Psychoanalytiker schicken dürfen; er sei einfach nur homosexuell, nichts weiter, und er bräuchte eher eine Bühne, ein hübsches Kostüm und ein paar grelle Scheinwerfer als so einen blöden Psychoanalytiker! Und als meine Oma das damals sagte, hatte ihr meine Mam zugestimmt! Und jetzt schleppte sie mich selber zum Psychoanalytiker und entschuldigte sich sogar bei ihm, denn gerade sagte sie kopfschüttelnd: »So ist er in letzter Zeit immer, Herr Doktor. Er sagt … er sagt ständig so was. Und handelt auch so. Ich erkenne ihn kaum wieder.«
Aber der Analpsychotiker nickte bloß und hob die Hand, um meine Mam zu beruhigen. Und zu mir sagte er: »Siehst du, Raymond, da haben wir’s schon wieder: ›Kastriert‹. Und all das andere, Raymond, diese Vorfälle und Ausbrüche, die Fliegen am Kanal und das, was du zu deiner kleinen Cousine über … Geschlechtsverkehr gesagt hast; aber auch das, was du hier geäußert hast, Raymond, Anal psychotiker … ›kastriert‹. Meinst du nicht doch, dass es da irgendeinen Zusammenhang geben könnte?«
Aber es gab keinen Zusammenhang! Nicht den geringsten. Der Einzige, mit dem all das zusammenhing, war ich. Weil es Dinge waren, die ich gesagt oder getan hatte. Der Analpsychotiker pickte sich einfach ein paar Dinge raus – aus den Hunderten, aus den Tausenden von Dingen, die ich gesagt oder getan hatte! So konnte man alles miteinander in Zusammenhang bringen. Deshalb nannte ich einfach das, was mir als Erstes in den Sinn kam.
»Wasser!«, sagte ich.
Der Analpsychotiker starrte mich stirnrunzelnd an.
Ich wiederholte: »Wasser! Ich trinke Wasser. Ich wasche mich mit Wasser. Wenn ich Pipi mache, kommt unten Wasser raus. Und wenn es regnet, werde ich vom Wasser nass. Wasser!«, sagte ich. »Es gibt so viele Zusammenhänge, aber das heißt doch noch lange nicht, dass ich ein Goldfisch bin!«
Ich brachte dieses Beispiel nur, damit er endlich Ruhe gab und mich gehen ließ. Aber er nickte lächelnd und sagte: »Das ist doch interessant, nicht wahr? Das ist hochinteressant, Raymond:
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