Der Fliegenfaenger
stirnrunzelnd all unsere Möbel am falschen Ort. Sie wirkte fassungslos. Und dann sagte sie: »Was hast du bloß getan, Mutter? Was soll das?«
»Wir fahren heute Nachmittag noch mal hin«, erwiderte meine Oma. »Wenn Jason ein paar Stunden geschlafen hat. Dann holen wir die Teppiche und ein paar Kleinigkeiten, die noch fehlen.«
Meine Mam sah meine Oma an. »Das ist alles ganz unnötig«, meinte sie. »Wir ziehen nicht bei dir ein.«
Meine Oma sah kurz zu mir her. Dann fragte sie meine Mam: »Und wo willst du sonst wohnen, Shelagh?«
Meine Mam runzelte die Stirn. »In unserem Haus natürlich!«, sagte sie.
»Ach ja? Und was meinst du, wie lange es dauert, Shelagh, bis dieser Detective Sergeant verlauten lässt, dass er gegen Raymond leider nichts unternehmen kann?«
Meine Mam starrte meine Oma verständnislos an.
»Und wenn das bekannt wird, Shelagh«, fuhr meine Oma fort, »wenn den Leuten hier allmählich klar wird, dass die Polizei den Täter zwar kennt, aber nichts gegen ihn unternehmen kann, weil er noch zu jung ist und es keine Beweise gibt – glaubst du wirklich, dass die sich achselzuckend umdrehen und zur Tagesordnung übergehen? Wenn du das glaubst, Shelagh, dann ist dein Glaube an die Menschheit stärker, als es meiner je war.«
Meine Oma ging in die Küche und wir folgten ihr. Meine Oma setzte den Kessel auf, dann starrte sie aus dem Fenster und sagte: »Ich weiß, dass er nur ein kleiner Junge ist, Shelagh, ein Junge, der niemandem etwas zuleide getan hat, und es ist hundsgemein, dass es so kommen musste. Aber jetzt ist es so gekommen. Und wenn man es mit Leuten zu tun hat, die nur das glauben, was sie glauben wollen , dann ist das ziemlich schlimm. Mag sein, dass wir hier im modernen Failsworth leben, Shelagh; mag sein, dass wir uns am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts befinden, wo jeder seinen Wintergarten hat und wo man seine Topfpflanzen im Gartencenter kauft und zur Andacht in die voll klimatisierten Konsumtempel läuft. Aber lass dich davon nicht täuschen. Zivilisation! Ein dünner Firniss, Shelagh! Hinter dem Einkaufswagen im Supermarkt trottet noch mancher Neandertaler. Und wenn man mal die Topfpflanzen weglässt, Shelagh, dann laufen in den Gartencentern massenweise Sadisten rum. Glaub nur nicht allzu fest an die so genannte Zivilisation, Shelagh; wenn es nur irgend ginge, würden auf den Parkplätzen vor den Einkaufscentern und Supermärkten bald wieder regelmäßig Menschen gehenkt, verprügelt und als Hexen verbrannt. Und alle wären sie da, in ihren Armani-Anzügen, mit ihren gestylten Frisuren, ihren Topfpflanzen, ihrem Perrier-Wasser und dem marinierten Tunfisch, den sie sich dann mittags auf den Holzkohlengrill legen, um ihn genüsslich im Garten zu verzehren, nachdem sie dem Henker den ganzen sonnigen Vormittag auf dem Supermarkt-Parkplatz beim Köpfen zugeschaut haben.«
Meine Mam schrie meine Oma an, sie solle um Himmels willen aufhören; ob nicht schon alles schlimm genug sei, auch ohne dass sie einen solchen Mist über Sadisten im Supermarkt rede.
»Aber genau damit kriegt ihr’s bald zu tun, Shelagh«, sagte meine Oma. »Mit der Mentalität des Mobs. Und deshalb müsst ihr hier bleiben, bei mir. Bis sich etwas andres gefunden hat.«
Meine Oma brühte Tee auf. Und meine Mam entschuldigte sich, dass sie sie angeschrien hatte; sie wisse ja, meine Oma meine es nur gut.
»Aber trotzdem: Es wird nicht nötig sein«, fuhr meine Mam fort. »Wir müssen nicht hier bleiben. Ich werde Jason anrufen und ihn bitten, dass er das ganze Zeug heute Nachmittag wieder zurückschafft.«
Aber wir fuhren nicht mehr zurück. Und wir bekamen auch unsere Teppiche nicht mehr. Denn am selben Tag schüttete um die Mittagszeit irgendjemand Benzin durch unseren Briefkastenschlitz. Und warf ein brennendes Streichholz hinterher.
Meine Oma tat ihr Bestes. Sie sagte, wir könnten bei ihr wohnen, so lange wir wollten. Aber irgendwann mussten wir dann doch ausziehen. Diese Wochen bei meiner Oma waren furchtbar, Morrissey, und ich durfte nirgends hin, weil meine Oma immer sagte, es sei zu gefährlich. Auch für meine Mam war es furchtbar. Sie erzählte es meiner Oma zwar meistens nur, wenn ich außer Hörweite war, aber manchmal vergaß sie, dass ich im Kämmerchen unter der Treppe hockte, und dann hörte ich zum Beispiel, dass man meine Mam auf der Straße anspuckte. Oder dass die Kunden im KwikSave zu einer anderen Kasse gingen, obwohl überall lange Schlangen standen und die Kasse meiner Mam ganz
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