Der Fliegenfaenger
oder in London sein. Sie könnte heute Abend direkt von hier zum Flughafen gefahren und nach Kanada oder Neuseeland geflogen sein oder sonst wohin.«
Meine Mam stand da. Sie runzelte angestrengt die Stirn und sah sich ratlos um. »Könnten Sie nicht einfach -«
»Entschuldigung, aber hätten Sie was dagegen, wenn ich mich jetzt wieder um meine Station kümmer?«, sagte die Schwester. »Ich habe heute besonders viel zu tun und wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie jetzt gingen.«
Da schien meine Mam endlich zu verstehen. Und sie sah aus, als würde sie gleich zusammenbrechen. Sie holte tief Luft und das klang so, als würde jemand noch einmal aufschluchzen, nachdem er fürchterlich geweint hat. Und als sie wieder ausatmete, war ein winziger wimmernder Seufzer daraus geworden. »Entschuldigung«, sagte sie.
Aber ich glaube, die Schwester hörte es gar nicht mehr.
Und meine Mam drehte sich um und ging durch den Korridor zurück. Ich lief einfach neben ihr her. Und ich musste meiner Mam sagen, wo man links abbiegen muss, um wieder zur Pforte zu kommen, weil sie einfach weiterlief, als wisse sie gar nicht, wo sie sich befand, und als sei es ihr auch egal.
Als wir den Eingang erreicht hatten, blieb meine Mam einfach stehen. Und ich stand bei ihr und wartete, dass sie mir sagen würde, wie es jetzt weiterging.
Aber sie rührte sich nicht.
Und da fragte ich: »Mam, was machen wir denn jetzt?«
Und sie schaute mich an, als sei sie innerlich viel zu weit weg, um mich wahrzunehmen. Und eine Krankenschwester, die gerade vorbeikam, blieb stehen und fragte: »Alles in Ordnung, mein Junge? Ist mit deiner Mam alles okay?«
Ich nickte nur. Und die Krankenschwester sagte: »Ganz bestimmt?«
Und als ich wieder nickte, ging die Schwester weiter.
Und ich weiß nicht mal, warum ich der Schwester gesagt habe, es sei alles okay. Denn es war überhaupt nichts okay. Gar nichts war in Ordnung, so wie meine Mam es erwartet hatte, wenn sie mit Dr. Janice hätte sprechen können. Aber Dr. Janice war nicht mehr da. Dr. Janice war in Leeds oder saß gerade im Flugzeug. Und meine Mam stand einfach nur da, am Eingang des Krankenhauses, und wusste nicht mehr, wie es weitergehen sollte.
»Mam«, sagte ich. »Was machen wir jetzt? Wo gehen wir jetzt hin?«
Aber eigentlich wusste ich, dass sie mir nicht antworten konnte. Ich wusste, dass sie keine Ahnung hatte, wie es weitergehen sollte, und dass ich etwas unternehmen musste.
»Komm.« Ich zupfte sie am Mantelärmel. »Komm«, sagte ich. »Wir können hier nicht stehen bleiben, Mam.«
Meine Mam schüttelte langsam den Kopf. Und dann sagte sie: »Nicht zurück. Nicht zurück. Ich fahr nicht nach Hause zurück.«
»Das musst du auch nicht.« sagte ich. »Komm, Mam.« Ich führte meine Mam raus, und wir gingen zum Taxistand rüber. Meine Oma konnte es kaum glauben, als sie nachts um halb zwölf die Tür aufmachte und ich und meine Mam davorstanden. Meine Oma warf nur einen kurzen Blick auf meine Mam, dann schlang sie den Arm um ihre Schultern und führte sie ins Haus. Und meine Oma stellte nicht eine Frage, sie führte meine Mam einfach nur ins Wohnzimmer und sagte zu mir, ich solle raufgehen und ein paar Decken runterbringen. Meine Mam saß mit untergeschlagenen Beinen in dem großen gemütlichen Sessel und meine Oma wickelte meine Mam in die Decken und stopfte sie seitlich und unter den Füßen fest. Dann sagte meine Oma, ich solle eine Wärmflasche machen, und als ich sie brachte, saß meine Oma auf der Armlehne des Sessels und hielt meine Mam in den Armen. Und da wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, dass meine Oma die Mam meiner Mam war. Meine Oma war lieb zu ihrem Kind. Und ich wusste, meiner Mam tat es gut, dass meine Oma so lieb zu ihr war. Und während ich so dastand, begann ich zu weinen, ganz leise, weil ich meine Mam nicht stören wollte, denn es sah aus, als würde sie gleich in den Armen meiner Oma einschlafen.
Meine Oma sah, dass ich weinte. »Es ist alles in Ordnung«, flüsterte sie mir zu. »Es ist alles in Ordnung.«
Und so war es auch. Zumindest ein bisschen. Jetzt, wo wir bei meiner Oma waren.
Wir schlichen uns in die Küche, ich und meine Oma, und ließen meine Mam schlafend in dem großen gemütlichen Sessel zurück. Und nachdem meine Oma leise die Küchentür zugemacht hatte, sagte sie: »Also!«
Und ich dachte, jetzt wolle sie alles ganz genau wissen. Aber sie sagte bloß: »Willst du lieber Erdnusstaler oder Garibaldis?«
Wir entschieden uns schließlich für
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