Der Fliegenfaenger
froh, dass du wohlbehalten angekommen bist! Ist alles gut gegangen? Wie ist es denn dort? Schön? Kannst du von da, wo du stehst, den Hafen sehen?«
Ich stand in der Telefonzelle am Ende der Gibbet Street und sah vor mir das Panorama aus Pizzerien, Burgerbars, Spielhallen und Scharen von Städtern mit hängenden Schultern, müde und erschöpft vom endlosen Reigen der Alltags.
Aber davon sagte ich meiner Mam natürlich nichts!
Meiner Mam sagte ich, ich sähe den Hafen vor mir und in der linden Brise schaukelten sanft die Fischerboote.
Und meine Mam rief: »Ach Junge, ach Junge, das klingt ja wundervoll!«
Und die glückliche Stimme meiner Mam machte mich so froh, dass ich ihr sogar erzählte, auf dem gepflasterten Kai hockten ein paar ältere Männer, silberbärtige Fischer mit gütigem Blick, und sie würden den Sonnenschein genießen und die salzige Luft einatmen und dabei ihre Netze flicken und dabei erzählten sie sich gegenseitig ihre Abenteuer und sängen mit rauen, aber ehrlichen Stimmen leise Seemannslieder.
Meine Mam gurrte vor Vergnügen und sagte, das höre sich ja an wie Shangrila. »Raymond, ich freue mich ja so für dich!«, sagte sie. »Ich finde es so toll, dass du endlich auf eigenen Füßen stehst!«
Als Nächstes wollte sie wissen, wie ich untergebracht sei. Und ich erzählte ihr von dem Gästehaus, ganz oben auf der Klippe, von Rosen und Efeu umrankt, und ich vergaß auch nicht den Panoramablick auf den strahlend blauen Ozean und die reizende Pensionswirtin, eine Kreuzung aus Mary Poppins und Mutter Teresa, und ich sagte meiner Mam, sie müsse sich wirklich keine Sorgen machen, weil Mrs. Hovis sich um mich kümmern werde wie um ihren eigenen Sohn.
Und da merkte ich, dass ich mich ein bisschen vergaloppiert hatte, denn plötzlich fragte meine Mam misstrauisch: »Wer? Mrs. …?«
Aber da hatte es schon zu piepsen begonnen und ich sagte meiner Mam, ich würde sie in ein paar Tagen wieder anrufen. Und als Letztes hörte ich noch, wie meine Mam sagte: »Raymond! Das ist doch nicht wieder so wie damals die Geschichte mit Malcolm?«
Aber da brach die Verbindung ab und ich konnte nicht mehr antworten. Ich fühlte mich schrecklich. Denn ich hatte meine Mam angerufen, damit sie sich freute. Und jetzt machte sie sich wieder Sorgen um mich. Denn Malcolm oder den Falschen Jungen hatte sie schon ewig nicht mehr erwähnt.
Malcolm hatte ich damals erfunden – nachdem wir von meiner Oma in Failsworth in die Maisonettewohnung nach Wythenshawe gezogen waren.
Damals, Morrissey, hatte ich noch nie etwas von dir oder Johnny Marr gehört. Und so wusste ich auch nicht, dass dein wunderbarer musikalischer Mitstreiter in Wythenshawe geboren war. Aber selbst wenn ich es gewusst hätte, Morrissey, wäre es kein großer Unterschied gewesen; denn ich hasste Wythenshawe. Der Ort sah aus, als sei er von einem besonders brutalen sowjetischen Stadtplaner erbaut und dann von einer Horde Vandalen wieder halb niedergerissen worden.
Ich hasste Wythenshawe. Und meine Mam hasste es auch. Aber anfangs gab sie sich tapfer. Sie sagte, wenigstens könne ich jetzt in die Secondary School gehen und den versäumten Unterrichtsstoff nachholen. Und sie sagte, ich würde bestimmt bald neue Freunde finden, jetzt, wo wir nicht mehr in Failsworth lebten und niemand etwas über uns wusste. Mir war klar, dass sich meine Mam unglaublich anstrengte, das Beste aus der Sache zu machen, und ich strengte mich auch an. Aber durch die ganze Aufregung und die lange Zeit, die ich untätig bei meiner Oma verbracht hatte, bevor wir endlich nach Wythenshawe zogen, war ich noch dicker geworden. Und so war ich in der neuen Schule nur der lächerliche Fettwanst, der erst mitten im Schuljahr anfing, der keine Menschenseele kannte und der sich sogar in der Schule verlief. Deshalb kam ich nämlich gleich am ersten Tag zu spät. Und als ich endlich das Klassenzimmer gefunden hatte und die Tür öffnete, rief Barry Tucknott: »Ach du Scheiße! Guckt euch den Fettwanst an!«
Worauf die ganze Klasse in Gelächter ausbrach. Und der Lehrer musste Tucknott zurechtweisen, weil er Sch… gesagt hatte. Aber ich sah schon, dass der Lehrer am liebsten selber mitgelacht hätte. Er befahl den andern weiterzuarbeiten und winkte mich zu seinem Pult.
»Du kommst zu spät, Junge! Gleich am ersten Tag kommst du zu spät. Warum?«
Doch bevor ich anworten konnte, rief Steven Spanswick: »Wahrscheinlich ist er im Schultor stecken geblieben, Sir.«
Als der Lehrer ihn streng
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