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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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Fahrkartenfrau schüttelte den Kopf und sagte: »Ihr jungen Leute, ich weiß nicht … Immer gibt’s ein Problem!« Sie hielt mir fünfzig Pence hin. »Na los, jetzt rufen Sie Ihre Mam an und sagen ihr, dass es Ihnen gut geht.«
    Ich war furchtbar verlegen. »Nein! Hören Sie«, sagte ich, »ich wollte auf keinen Fall schnorren. Ich wollte nur …«
    »Schon gut«, meinte sie, »da vorn an der Ecke ist eine Telefonzelle. Und zurückzahlen können Sie mir’s später mal, wenn Sie mit Ihrer Gitarre berühmt geworden sind. Was singen Sie denn so? Simon and Garfunkel? Mögen Sie die?«
    Ich starrte sie an. Wie konnte es sein, dass so eine nette, freundliche Person dermaßen kranke, finstere Gedanken hegte?
    »›Bridge over Troubled Water‹«, sagte sie. »Können Sie das singen?«
    Ich schüttelte den Kopf. Hoffentlich sah sie nicht, dass ich dem Erbrechen nahe war.
    Ich glaube, es ist sehr schwierig, ein netter Mensch zu sein; die haben anscheinend alle einen schweren Sparren! Als wären sie gegen Peinlichkeiten hundertprozentig immun und könnten deshalb fröhlich rumlaufen, unbeschwert von ihrem widernatürlichen Hang zu Ekel erregend entsetzlichen Songs.
    »Und die Eagles«, fuhr sie fort. »Die mag ich auch sehr gern. ›Tequila Sunrise‹ – können Sie das spielen?«
    Ich war schon in Versuchung, ihr die fünfzig Pence wieder zurückzugeben!
    Aber dann schüttelte ich doch nur den Kopf und die Fahrkartenfrau lächelte teilnahmsvoll und sagte: »Na ja, Übung macht den Meister! Ich bin sicher, dass Sie das eines Tages spielen können!«
    Dann seufzte sie und sah mich ein bisschen wehmütig an. »Schade, dass mein Junge nicht ein bisschen mehr so ist wie Sie«, meinte sie schließlich. »Wenn er sich doch endlich aufraffen und sich einen Job suchen würde. Aber nein! Doch nicht unser Derek! Der hockt lieber tagaus tagein in seinem Zimmer und hört sich diesen morbiden, monströsen, wie heißt er doch gleich … der geht mir vielleicht auf die Nerven!«, sagte sie. »Kennen Sie ihn zufällig, diesen Morrissey?«
    Die Fahrkartenfrau schauderte zusammen und fuhr fort: »Wie kann man sich nur freiwillig ein solches Gejaule anhören?«
    Sie schüttelte seufzend den Kopf.
    Und ich stand da und überlegte krampfhaft, wie ich es zur Telefonzelle schaffen sollte, ohne mich umzudrehen, weil ja quer über den Rücken meines T-Shirts in großen Lettern Morrissey steht!
    Natürlich hätte es mir ganz egal sein sollen und ich war dir gegenüber auch bestimmt nicht illoyal, Morrissey. Aber ich wollte die Fahrkartenfrau einfach nicht verärgern, weil ich ja wusste, sie konnte nichts dafür. Sie war wie meine Mam; ältere Leute verstehen Morrissey eben nicht. Nur meine Oma wäre da eine Ausnahme gewesen, Morrissey. Meine Oma hätte gesagt, du seist so sagenhaft sarkastisch! Und ihre Augen hätten verschwörerisch gefunkelt, wenn sie jemals Gelegenheit gehabt hätte, »Cemetery Gates« oder »Headmaster Ritual« oder »Barbarism Begins At Home« zu hören.
    Aber normale ältere Leute verstehen das eben nicht.
    Immerhin war es von der Fahrkartenfrau sehr nett gewesen, mir fünfzig Pence zu leihen. Und als ich mich jetzt rückwärts vom Fahrkartenschalter entfernte, damit sie mein T-Shirt nicht sah, setzte sie noch eins drauf und rief mich zurück. Sie blätterte in einem Heft und sagte: »Mir ist da gerade was eingefallen! Heute Abend um halb sieben fährt noch ein Charterbus!«
    Sie erklärte mir, der Einzelhandelsverband von North Lincolnshire habe den Bus gechartert. »Die hatten hier eine Tagung«, sagte die Fahrkartenfrau. »Aber heute Abend fahren sie wieder zurück.«
    »Ist das nicht ein Privatbus?«, fragte ich.
    Die Fahrkartenfrau tippte sich an die Nase und zwinkerte mir zu. »Wenn Sie mit Ihrer Mam telefoniert haben, kommen Sie wieder her und dann schau ich mal, was ich tun kann.«
    Das hob meine Stimmung ein wenig.
    Als ich meine Mam anrief, hielt ich es für das Beste, sie gar nicht mit den genauen Details meiner bisherigen Reise zu behelligen. Es war schon ein bisschen schlimm für mich, meiner Mam vorzuflunkern, ich sei bereits in Grimsby angekommen. Aber noch schlimmer wär es für meine Mam gewesen, wenn sie erfahren hätte, dass mir mein ganzes Geld geklaut wurde, dass man mich in Halifax fast verhaftet hätte und ich immer noch in Huddersfield festsaß.
    Deshalb tat ich so, als riefe ich aus Grimsby an.
    Meine Mam war furchtbar aufgeregt, als sie meine Stimme hörte. »Ach Junge«, sagte sie, »ich bin ja so

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