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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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mit geschlossenen Augen an den Dialog erinnerte, plötzlich der Basilius und der Julius aus dem
Turm
sich einschlichen … Hieß es, er solle dem nachgeben, die
Timon
-Mappe mit einer Schnur zubinden und sich aus dem Griechenland des dritten Jahrhunderts in das fiktiv mythische Zeitalter des
Turms
begeben? Er überlegte, ob er in der Mappe die sieben handschriftlichen Seiten dabei habe, auf welchen er sich vor vielen Jahren, als er daran ging, das Stück von Calderón zu übersetzen, den Aufbau und die Handlung des Stücks skizziert hatte.

BEIM EINTRETEN ins Hotel winkte der Portier ihm mit einem Umschlag. Die Nachmittagspost. Er riß mit dem Zeigefinger das erste Kuvert auf, ging damit ins Lesezimmer; und hoffte, einen Teil der Post gleich hier herunten erledigen, damit meinte er: wegwerfen zu können. Die Gerty war sich niemals sicher, was für ihn wichtig war, also schickte sie für alle Fälle auch Briefe ihr unbekannter Personen mit, Leserbriefe, Anfragen, Verlagsmitteilungen etc. Sie hatte einen Brief beigelegt, den Frau Brecht ihr geschrieben hatte. Vor einem Monat, in einem schwachen Augenblick, hatte er Professor Brecht, der ihn nach einer Sommerfrische gefragt hatte, Bad Fusch empfohlen. Die Brechts behaupteten nun, kein Zimmer mehr bekommen zu haben. Recht so. Aber vielleicht war’s eine Ausrede, denn leere Zimmer gab es in diesem Jahr in der Fusch genug, er selbst hatte zwischen dreien wählen können. Er setzte sich in den Fauteuil am Fenster, abgeschirmt von hohen Blumenstöcken. Ein Brief vom Carl:
Ob Sie wohl noch auf der Fusch sind? Ob Sie eine stille Arbeitsmöglichkeit fanden, ob viel Freude aus der Erinnerung aufsteigt, oder ob Sie nach den früheren Jahren manches vermissen …? Ich bin seit dem Sonntag, an dem ich Sie nach Buchs fuhr, in Zürich. Die Zürcher Bibliothek war mir immer ein lieber Arbeitsraum …
    Werde ich, je älter, überhaupt unfähig, mit Menschen, und seien es Freunde, länger als einen Tag oder zwei, drei Tage zusammen zu sein? Ein Brief vom Poldy Andrian, wie immer problematisch, und einer von Zifferer, der sich den Sommer über in Österreich aufhielt; auch diesem Getreuen mußte er sich entziehen. Zifferer hatte ihm bei Pariser Theaterangelegenheiten sehr geholfen – vor allem viel Geld sparen –, aber weder in Salzburg noch in der Fusch hatte er ihn empfangen können und wollen. Er wußte nicht, was er tun würde, wenn ihm in diesem Sommer, diesem Herbst weder ein Fortschritt im
Timon
noch ein endgültiger Abschluß des
Turms
gelänge. Immerhin waren der zweite, der dritte und der fünfte Akt des
Turms
jetzt präsentabel, und er hatte sogar schon überlegt, wem er einen der Akte zum Vorabdruck geben könnte. Eine Mappe mit einem fragmentarischen Konvolut mehr? Die Zahl seiner vollendeten Werke wurde bei weitem übertroffen von der Zahl der Mappen mit seinen aufgegebenen.
    Ria Claassen beklagte sich, daß sie kein Programm der
Salzburger Festspiele
erhalten habe. Unmöglich konnte er Hunderten Leuten mitteilen, daß dieses Jahr keine Festspiele stattfanden und warum. Schon gar nicht die in der Presse kolportierten Gründe: weil eine Darstellerin abgesagt hatte, oder aus Geldmangel … Die Hauptursache war vielmehr die katastrophale Lage im ganzen Land, die weiter fortschreitende Geldentwertung. Lebensmittelmangel, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit machten den Einheimischen schwer zu schaffen, sie konnten kein Verständnis aufbringen für Festspiele. Da und dort war in Salzburg auch schon dagegen demonstriert worden. Eine gewisse reaktionäre Presse hetzte. Man hätte jedenfalls befürchten müssen, daß Einheimische die aus ganz Europa und sogar aus Übersee angereisten festlich gekleideten Besucher vor dem Festspielhaus angepöbelt hätten.
    Könnte er die Hotelrechnung nicht mit einem Scheck bezahlen? Sonst hätte er in dem kleinen Koffer womöglich die Geldscheine von der Bank in Zell am See heraufschleppen müssen. Soll ich, überlegte er, der Ottonie vorschlagen, hierher zu kommen, und dann mit ihr gemeinsam nach Aussee?

MEIN GUTES
Wesen, grad hab ich ein paar Briefe aufgegeben im Post-Office, und vor mir, am Schalter, haben zwei ältere Damen sich unterhalten, über die Vernunftehe, sie sei den sogenannten Liebesehen vorzuziehen. Ich denk mir oft, wie glücklich ich mit Dir bin – es wird wohl auch unsere eine Vernunftehe sein, nicht? Es fiel mir heute wieder ein, daß Du nie in der Fusch gewesen bist. Bevor wir geheiratet haben, sind unsere Familien ja eigene

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