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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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genügend vorausgedacht wurde, oft große Taten und geistige Leistungen entstehen … ich weiß, ich zitiere Sie nur so ungefähr. Und wie von unserer Armee eine umgestaltende Kraft ausgeht …«
    Vorausgedacht
… Es handelte sich um einen Satz von Goethe, hatte er der Baronin erklärt – wenn ich mich richtig erinnere, aus Eckermanns Gesprächen mit Goethe …
    »Was sagen Sie zum Friedensvertrag?« hatte die Baronin gefragt. »Zwei Wochen ist das schon wieder her! Was anderes war wohl nicht zu erwarten? Mein seliger Laszlo meinte während seines letzten Heimaturlaubs, wir hätten vielleicht doch im Sommer vierzehn den Serben mehr entgegenkommen sollen … Man hätte dabei nicht unbedingt das Gesicht zu verlieren brauchen. Sie wissen, daß der Major vor anderthalb Jahren in den Karpaten gefallen ist? Wenigstens hat er den unseligen Ausgang dieses Krieges und den Bankrott unserer Hausbank nicht mehr erleben müssen.«
    Er hatte an die Zeitungsmeldung gedacht, wonach die Unterkunft der österreichischen Delegation in Saint-Germain, welcher auch sein Freund Georg von Franckenstein angehört hatte, mit Stacheldraht eingezäunt worden war und von bewaffneten Posten beaufsichtigt wurde.
    »Übrigens«, hatte die Baronin hinzugesetzt, »hat der Major fast alles, was Sie veröffentlicht haben, gelesen, und sich immer gewundert, daß, anders als zum Beispiel bei Schnitzler, in Ihren Schriften die Welt des Militärs ausgespart bleibt. Sie haben doch nichts gegen die Leutnants?«
    Es fiel ihm ein, wie er in jenem unseligen Sommer – die Gerty hatte schon begonnen, die Koffer für Altaussee zu packen – die Zeitung mit der Meldung und der Zeichnung des Attentats von Sarajewo aufgeschlagen und, obwohl es bereits in ganz Wien bekannt geworden war, plötzlich einen heftigen Stich in der Brust gespürt hatte. Alle, die er kannte, alle außer Schnitzler, waren sich einig gewesen, daß man es diesmal den Serben nicht dürfe durchgehen lassen. Hätte man das Auseinanderfallen des Hauses Österreich überhaupt vermeiden können? Hätte es ein Prinz Eugen vermocht?
    »Dann werde ich Schweizer«, hatte er auf die Frage der Baronin geantwortet, was er von einem eventuellen Anschluß an Deutschland halte. »Obwohl«, hatte er hinzugefügt, »obwohl ich meine Leser, mein Publikum draußen habe; das Burgtheater führt meine Stücke ja nicht auf.«
    Irgendwo im Haus hatte dann, als er sich verabschieden wollte, ein Telefon geläutet. Die Baronin war hinausgegangen. »Vinzenz, so geh Er doch endlich zum Telefon, zum Kuckuck noch einmal …«
    Vinzenz? hatte er gedacht. Wenn die Baronin meine Komödie sehen wird, wird sie womöglich denken, ich habe ihr ihren Diener genommen. Dauernd meinten die Leute ihn darauf aufmerksam machen zu müssen – manchmal empört, manchmal geschmeichelt –, daß sie sich in der Figur der Ariadne oder des Ochs wiedergefunden hätten. Mit diesem Vinzenz allerdings war er noch nicht fertig gewesen: In Ferleiten hatte er Notizen gemacht für ein neues Lustspiel, mit einem rebellischen Diener in der Hauptrolle.
    Und er erinnerte sich, daß er überlegt hatte, die Baronin in das
Große Welttheater
einzubauen, in der Rolle der Welt.

ALS ER endlich die Aussichtsbank in Sichtnähe hatte, sah er talwärts auf dem steilen Pfad, der vom Ort heraufführte, zwei Bergsteiger mit umgehängten Seilen und Pickeln näher kommen. Gott sei Dank gingen sie an der Bank vorbei, grüßten freundlich, als er ihnen begegnete. Waren sie im Glocknergebiet unterwegs gewesen?
    Mit dem gebrauchten Taschentuch aus der Gesäßtasche wischte er die Bretter der Bank ab. Ein junger Mann schob sein Fahrrad vorbei, und H. fragte sich, wo man denn hier fahren könne. Vielleicht oben auf dem ebenen Höhenweg, welcher ihm diesmal in der Fusch der liebste Spazierweg war? Es fiel ihm ein, daß er in einem der Sommer, achtzehnhundertsiebenundneunzig, sein Rad nach Fusch mitgenommen hatte. Nicht um hier heroben zu fahren, sondern um sich in Zell am See mit Schnitzler und Beer-Hofmann zu treffen und nach Salzburg zu radeln. Es war jener Sommer, als er mit dem Fahrrad von Zell am See nach Italien gefahren war, über Südtirol, Verona, bis Varese. Darüber, fiel ihm ein, könnte ich einmal etwas schreiben, nur für mich. Jene Wochen in Varese waren ja zweifellos die produktivsten in seinem ganzen Leben gewesen.
Das kleine Welttheater
war damals entstanden,
Die Frau im Fenster, Der weiße Fächer, Der Kaiser und die Hexe
und manch anderes.
    Von weitem

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