Der Fliegenpalast
Einheimische im Dirndl und mit rosarotem Seidentüchl kostümiert.
Während sie ihm umständlich Tee in die Tasse goß und dann an ihrem Tuch herumnestelte, fiel ihm ein, wie er in der Früh den Kopf geschüttelt hatte, als er sich von Gerty und den Kindern verabschiedete, die eine Tour ins Tote Gebirge unternehmen wollten und vorhatten, auf der Brunnwiesenalm über Nacht zu bleiben. Christiane wie immer hübsch anzuschauen im Dirndlgewand, mit Rucksack, aber die Buben in den zu klein gewordenen Lederhosen, den grünen Kniestrümpfen und Filzhüten, mit Wanderstöcken … Allerdings war ihm dann auf seinem Spaziergang eingefallen, daß er in diesem Alter genauso ausstaffiert gewesen war.
»Ich schreib Ihnen was Schönes ins Gästebuch«, hatte er zu der Baronin gesagt, »aber jetzt müßte ich … Der Festspielgedanke und die Salzburger Festspiele liegen mir am Herzen, das weiß ja jeder, und Sie wissen es auch. Es ist ja das Beste und einzige, was ich jetzt nach dem Zusammenbruch noch tun kann für die österreichische, für die europäische Idee. Raimund, Goldoni, Mozart, Schubert … Es ist Ihnen ja bekannt, daß ich bereits mehrere Artikel zu diesem Thema veröffentlicht habe. Naja, das Domkapitel«, hatte er hinzugesetzt, »hat endlich, wenigstens mündlich, die Zustimmung für den
Jedermann
gegeben.«
Wenn bloß die Leute nicht immer etwas von einem wollten! Wie sie sich das vorstellten, fünf Seiten hier, zehn Seiten da …
Auf einmal hatte er ein Bild vom Major Lhotsky im Sinn gehabt, war sich dann jedoch nicht sicher, ob es sich bei dem hochgewachsenen Mann im Uniformmantel nicht um jenen Major handelte, dem er in den Dolomiten ein paar Mal begegnet war – damals, als er sich mit den Skizzen zum
Jedermann
an den Karersee zurückgezogen hatte – und den er erwogen hatte, in die Tischgesellschaft einzubauen. Wenn etwas weit zurücklag, näherte es sich dem Geisterhaften. Immer öfter mischte sich die Erinnerung an Menschen, denen er begegnet war, mit jener an die Schemen, die in seinem Kopf entstanden und dann eine Art von Eigenleben beanspruchten.
Es fiel ihm auch wieder ein, was plötzlich angefangen hatte, tief in seinem Inneren so ein flaues …
In jenem Jahr damals hatte er der Baronin ein signiertes Exemplar seiner dramatischen Dichtung
Gestern
mitgebracht, und ein paar Tage später schon empfing er eine Bütten-Karte mit dem Familienwappen, worauf sie ihm in konventionellen Wendungen gedankt hatte. (Er erinnerte sich, daß der gute Ferdinand von Saar mit dem Drama auch nichts hatte anfangen können – immerhin hatte Saar ihm geschrieben, es handle sich bei diesem Stück »nicht um eine gewöhnliche Leistung«.)
Er war mit der Post in der Manteltasche, hauptsächlich der von den Eltern aus Wien nachgesandten, spazieren gegangen. Poldy Andrian war mit seiner Familie zuvor in die Schweiz abgereist. Trotz der Franckensteins und der Oppenheimer war ihm Altaussee plötzlich wie ausgestorben vorgekommen. Er war den Seeweg gegangen, vorbei an der Andrian-Villa, und auf einer Bank hatte er den dicken Umschlag geöffnet und die Briefe durchgesehen. Stefan George bot ihm an, einer der Schriftleiter der
Blätter für die Kunst
zu werden. Neben der Bank ein hölzerner Abfallkorb, dahinein hatte er einige Briefe, deren Beantwortung sich mittlerweile von selbst erledigt hatte, und solche, auf die er nicht zu antworten gedachte, zerknüllt fallen lassen. Er mußte wohl auch gedankenlos den Umschlag und die Briefkarte der Baronin weggeworfen haben, denn ein paar Tage später erzählte ihm Georg Franckenstein auf dem Tennisplatz, die Lhotskys seien sehr enttäuscht von ihm. Jemand habe einen Brief, den die Baronin ihm geschickt habe, in einem Abfallbehälter am Seeweg gefunden. »Laß dich in nächster Zeit lieber nicht bei ihnen blicken«, hatte Georg gemeint.
»Sie haben doch so wunderbare Sachen geschrieben über die Festspiele, Herr von Hofmannsthal«, hatte die Baronin gerufen. »Über den theatralischen Urtrieb des bayerisch-österreichischen Volksstammes, über das einzigartige Barockensemble Salzburgs … Wie schön Sie das ausgedrückt haben mit der Wiedererweckung des barocken Festspiels. Sie haben das alles ja im Kopf … Wir müssen doch was tun für unser armes Österreich. Ich erinnere mich auch an Ihre patriotischen Artikel in der
Neuen Freien Presse
und in der
Rundschau
in jenen schrecklichen Jahren. Mein Mann hat mir
Die Bejahung Österreichs
vorgelesen. Der Satz, daß auch dort, wo nicht
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