Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
Vom Netzwerk:
… Und wer liest denn die meisten Bücher? Krakauer drehte sich nach ihm um, schien ihm irgendein Zeichen geben zu wollen. Im Foyer winkte ihm der Portier diskret.
    »Ein Telegramm für Sie, Herr …«
    Der Gute hatte sich gemerkt, daß H. ihn gebeten hatte, seinen Namen nicht auszusprechen. Dabei waren die Zeiten längst vorbei … Allenfalls in Deutschland. Aber in Wien? Wer kannte ihn denn schon? Während er die Treppe hinaufstieg, fiel ihm eine Äußerung der Ebner-Eschenbach ein, die sich im Alter gegenüber Ferdinand von Saar beklagt hatte, daß man sie völlig vergessen habe. Es war lächerlich, aber immer noch ergrimmte es ihn, wenn er daran dachte, daß in Wien – nicht einmal in Rodaun – keine öffentliche Stelle ihm zu seinem Geburtstag im Februar gratuliert hatte, von einer Ehrung gar nicht zu reden. Der arme schwerkranke Saar hatte sich im Alter umgebracht.

ER BLIEB stehen und suchte in allen Rocktaschen einen Bleistift; er mußte ihn im Zimmer liegen gelassen haben. Ob ich mir, dachte er, merken werde, die Christiane zu bitten, mir baldmöglichst einen Melissengeist in Bad Aussee zu besorgen? Es war ihm heute nicht danach, bis zu der Almhütte zu gehen, wo es das beste Schwarzbrot und die beste Buttermilch gab und wunderbare, in Butterschmalz herausgebackene Krapfen. Eine Viertelstunde nur noch oder zwanzig Minuten – aber man mußte den weiten Rückweg ins Dorf bedenken. Während er sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn wischte und den Hut wieder aufsetzte, fiel ihm plötzlich ein, an wen Krakauers Baronin ihn …
    Er drehte sich um und schaute auf die Bergrükken im Westen, dann hinunter ins Fuscher Tal, dann hinüber zum Ort. Die Giebel der Hotelbauten und Nebenhäuser waren von hier nicht zu sehen. Warum war ihm an den ersten beiden Tagen gar nicht so richtig aufgefallen, wie sehr dieses Dörfl sich ausgeweitet hatte? Erst jetzt nahm er alle die Neubauten entlang der Ortsstraße wahr, die in einem Bogen in westlicher Richtung aus dem Ort hinausführte. Es war nicht mehr sehr weit bis zu der Bank, von der aus man einen schönen Blick hatte auf das gezackte Massiv des fast dreitausend Meter hohen, auch im Sommer manchmal schneebedeckten Schwarzkopfs.
    Er erinnerte sich an die Begegnung mit der Baronin Lhotsky, in jenem fürchterlichen Jahr neunzehnhundertneunzehn, in Altaussee … Merkwürdig, auch damals hatte er einen Schwindelanfall gehabt. Und der Diener der Baronin, der im Garten des Anwesens am Zaun entlang vielleicht Unkraut gejätet hatte, hatte offenbar bemerkt, wie er sich zuerst an einem Zaunpfahl festhielt und dann zusammensank.
    Erst auf der Terrasse der Lhotskys war er wieder zu sich gekommen. Die Baronin hatte ihm in ihrem Salon Tee serviert; sich entschuldigt, daß es keinen Kaffee zu kaufen gebe. Und hatte ihn als Vorsitzende der Salzburger Festspielgemeinde an einen Werbe-Text erinnert, den er dem Präsidenten Richard Strauss versprochen hatte.
    Ja, was verspricht man nicht alles, hatte er gedacht.
    Er sei nicht erreichbar gewesen, seit Monaten, hatte die Baronin gerufen, was für ein Zufall jetzt … Man habe vermutet, daß er sich in Aussee befinde, ohne Telefonverbindung. Oder grippekrank.
    Er sei tatsächlich lange krank gewesen, hatte er geantwortet. Gott sei Dank, hatte er gedacht, haben wir keines dieser zudringlichen Geräte in dem Altausseer Häusl. In Rodaun befand sich der Telefon-Apparat im Erdgeschoß neben der Küche und wurde vom Dienstmädchen bedient.
    Ob er nicht gleich jetzt bitte … eine Schreibmaschine sei im Haus … Auf zwei Schreiben des Präsidenten habe er nicht geantwortet. Es müßten bloß ein paar Zeilen sein, es gehe ja hauptsächlich um seinen Namen …
    Sogleich war ihm damals eingefallen, daß er an diesem geschwungenen Schreibtisch aus Kirschholz schon einmal gesessen war, es mochte zwanzig Jahre her sein. Länger, hatte er überlegt, es war sein erster Ausseer Sommer, achtzehnhundertsechsundachtzig. Den Major Lhotsky und seine Frau hatte er anläßlich eines Diners der Oppenheimer auf dem Ramgut kennengelernt, und er, der allseits bewunderte junge Dichter, war eine Woche später zum Tee in die Villa Lhotsky eingeladen worden, zusammen mit seinem Freund Clemens Franckenstein, der dann auf dem Klavier Stücke aus seiner Oper
Griseldis
spielte, wobei sich der Beifall der Gäste in Grenzen hielt. Damals hatte er die gutaussehende Baronin heimlich beobachtet; sie war nur wenige Jahre älter als er und hatte sich nicht wie heute als

Weitere Kostenlose Bücher