Der Flirt
Moriarty!« Er drehte sich zu Olivia um. »Wie klingt das? ›Subversion hat einen neuen Namen: Red Moriarty!‹«
»Ausgezeichnet!«
»Heißt das, ich bin eingestellt?«, fragte das Mädchen.
Doch Olivia hörte sie nicht. Diese bemerkenswerte junge Frau hatte die Substanzlosigkeit ihres Lebens genommen und daraus Kunst gemacht.
Zum ersten Mal seit langem fühlte sie sich voller Tatkraft.
»Niemand rührt diesen Raum an! Simon, holen Sie mir Mona Freestyle ans Telefon! Ich will, dass das Ganze hier sofort in die Galerie verfrachtet wird. Sie sind ein sehr kluges Mädchen.«
»Ehrlich?«
»Unglaublich begabt!«
»Worin?«
Olivia und Simon tauschten einen Blick.
»Und witzig!« Simon lachte. »Wo haben Sie gelernt?«
»Gelernt? Ich bin mit fünfzehn von der Schule abgegangen. Verstehen Sie, ich habe einen kleinen Jungen.«
»Ein Kind? Aber Sie können doch selbst kaum älter sein als zwölf!«
»Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt. Also, fast. Nächsten Monat.«
»Und Ihr Hintergrund?«, wollte Simon wissen. »Wo wurden Sie geboren? Wo leben Sie? Wie ist Ihre Familie?«
»Ich stamme aus Kilburn. Mein Vater besitzt einen Trödelladen. Meine Mutter ist weg, als ich zehn war. Ich lebe in einer Sozialwohnung in einer Siedlung nahe Queens Park.«
Er konnte sich kaum beherrschen. »Wie vollkommen Young British Artists!«
Olivia bat sie mit einer Geste, sich zu setzen. »Und Ihre Liebe zur Konzeptkunst … woher stammt die?«
»Kunst?« Das Mädchen zupfte an dem hässlichen Kostüm. »Ich kann nicht mal zeichnen.«
»Niemand zeichnet mehr!«, versicherte Simon ihr. »Ich könnte keine Zeichnung verkaufen, und wenn mein Leben davon abhinge!«
»Ein vollkommen rohes Talent.« Olivia schüttelte staunend den Kopf.
»Sie haben recht.« Simon nickte. »Gott hat unsere Gebete erhört! Hier ist das Enfant terrible , das wir gesucht haben! Noch mehr Enfant als Rodney und unendlich mehr terrible !«
Inzwischen wurde eine Etage tiefer einer der jungen Künstler, die Mona Freestyle von der Stage empfohlen hatte, ein hochaufgeschossener junger Mann mit langer Nase und Knopfaugen, der darauf spezialisiert war, menschliche Überreste in Aspik zu konservieren, von Gaunt befragt. Bei der Übung, bei der er Silber polieren musste, hatte er sich ziemlich gut gehalten, und auch beim Identifizieren des Tafelbestecks hatte er seine Sache bewundernswert gut gemacht. (Der Hummerdreizack war ihm nicht fremd.)
Leider bekam er nicht die Gelegenheit, die letzte Prüfung zu exerzieren, denn Simon Grey hatte den Salon absperren lassen, um am Nachmittag alles in die Galerie zu bringen. Doch Gaunt stellte ihn trotzdem ein. Sein höhnisches Grinsen war erstklassig; er besaß ein natürliches Gefühl der Überlegenheit,
das nicht erlernt werden konnte. Und um die Wahrheit zu sagen, wenn er sich bewegte, hatte er etwas von Jean Marsh an sich.
Vielleicht verlor England einen weiteren großartigen angehenden Künstler an die häusliche Dienstbotenschaft.
Vielleicht auch nicht.
Das Bewerbungsgespräch
Hughie saß in einem warmen Flecken Sonnenlicht auf einer Bank im Green Park, er hatte noch zehn Minuten Zeit bis zu seinem Termin. In dem dunklen Wollanzug, den er sich von Malcolm geborgt hatte, fühlte er sich steif und unbehaglich. Aber wenigstens stank er nicht nach Veilchenwasser.
Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Clara zu erlauben, ihn einzukleiden. Doch als sie gehört hatte, dass er endlich ein Bewerbungsgespräch führen würde, hatte sie ihn einfach nicht in Ruhe gelassen. Auf ihren gelben Klebezetteln standen jetzt Ratschläge statt Warnungen: »Stell Blickkontakt her und lächle! Aber nicht wie ein IDIOT!« »Iss am Tag vorher nichts, was stark riecht!« »Vergiss nicht, dich zu rasieren!« Je weiter die Woche voranschritt, desto mehr erinnerten ihre Ratschläge an amerikanische Coaching-Parolen: »Du kannst das!« »Dieser Job gehört DIR! Du musst nur noch die Hand ausstrecken und ihn PACKEN!« »Scheitern ist etwas für VERSAGER!« Allmählich vermisste Hughie die Klebezettel, die ihn nur daran erinnerten, seinen blöden Schlüssel nicht zu vergessen.
Er betrachtete die Menschen, die vorbeischlenderten oder herumsaßen, Zeitung lasen oder auf dem Rasen dösten. Und er überlegte, ob einer von ihnen die- oder derjenige war, auf den er wartete.
Es war ungewöhnlich, ein Bewerbungsgespräch auf einer Parkbank zu führen. Das hatte er Clara trotz ihrer ständigen
Fragerei verheimlicht. Andererseits war er
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