Der Flirt
er auch darin liegen!« Gott allein wusste, wie viele Frauen er im Laufe der Jahre gehabt hatte.
»Wie wollen Sie ihm denn je wieder vertrauen?«, meinte Ricki.
Habe ich ihm je vertraut?, überlegte Olivia.
Ricki machte sich daran, ihr Werkzeug auszupacken. »Na, wenigstens haben Sie Ihre Arbeit. Das ist in so einer Zeit ein echter Trost.«
Olivia hatte die Galerie nie als richtige Arbeit betrachtet. Für sie war sie mehr eine Liebhaberei. »Etwas, das dafür sorgt, dass ich mich nicht auf der Straße herumtreibe«, wie sie es Mimsy gegenüber bezeichnet hatte.
»Leben Sie Ihr Leben« - Ricki wählte eine schmale Kelle -, »das ist die beste Rache.«
»Ja, Sie haben recht«, stimmte Olivia ihr zu, auch wenn sie nicht ganz davon überzeugt war.
Ricki machte sich energisch ans Jäten.
Leben Sie Ihr Leben.
Die Worte hingen in der Luft wie ein hingeworfener Fehdehandschuh. Was war ihr Leben denn ohne Arnaud, hinter dem sie sich verstecken konnte? Plötzlich war die Aussicht gleichermaßen fesselnd wie einschüchternd.
Olivia sah Ricki zu, wie sie sich hinhockte und im blassen Sonnenschein die Blumenbeete jätete. Sie war so stark, so sicher in sich selbst. Allein in ihrer Nähe zu sein gab Olivia Halt, gab ihr Klarheit.
Sie hatte mit jemandem reden müssen, mit jemandem, dem sie vertrauen konnte. Wie seltsam, dass es ausgerechnet Ricki gewesen war.
Olivia spazierte zurück ins Haus.
Etwas hatte sich verschoben. Das dicke, kalte, erstickende Gewicht, das sie die meiste Zeit ihres Lebens begleitet und das ihren Geist niedergedrückt hatte, war verschwunden. An seiner Stelle rührte sich etwas Neues, Gefährliches. Es flatterte dunkel und unkontrollierbar in ihrer Magengrube.
»Arschloch«, murmelte sie leise und stieg die Treppe hinauf. Das Wort schwang mit, sauber, hart, voller ungewohnter Macht. Sie sang es wie ein Mantra. »Arschloch, Arschloch, Arschloch, Arschloch, Arschloch, Arschloch!«
Gaunt begegnete ihr auf dem Weg nach unten. »Guten Morgen, Madam.«
»Guten Morgen. Arschloch, Arschloch, Arschloch!« Sie bog um den Treppenabsatz. »Oh, und Gaunt, setzen Sie bitte Kaffee auf, ja? Ich brauche ihn heute stark.«
»Sehr wohl, Madam.«
Simon wartete auf sie, sie hatte Arbeit zu erledigen.
Frühstück bei Graff
Sie glitzerten im Schaufenster von Graff: ein Paar winzige, zierliche, ganz und gar überraschende herzförmige Diamantohrringe.
Und sie waren perfekt. So perfekt, dass Hughie, als er am nächsten Morgen die Bond Street hinunterging, vollkommen fasziniert war. Sobald sein Blick darauf fiel, konnte er sich buchstäblich keinen Zentimeter mehr bewegen.
Diamanten! Das liebten die Frauen doch! Sie wollten Diamanten und Männer, die es sich leisten konnten, ihnen welche zu kaufen.
Er blieb also stehen, drückte die Nase an der Scheibe platt und nahm sie so gründlich wie möglich in Augenschein.
Und jetzt, da er einen Job hatte, konnte er so ein Mann sein!
Das lähmende Unwohlsein, mit dem er aufgewacht war, wurde von schwindelerregend freudiger Erwartung abgelöst. Sie würden wunderbar aussehen an Leticia! Sie wäre beeindruckt! Dankbar! Wie konnte sie ihn nicht mehr lieben, wenn er ihr Diamanten schenkte?
Er schaute auf seine Uhr.
In einigen Minuten war er mit Marco verabredet.
Marco war auf eine Serie von Flirts spezialisiert, die unter dem Titel »der sexy Fremde« liefen. Zu seinen besten Rollen gehörten ein Rennfahrer, ein Architekt, der sich verlaufen hatte, und − seine Lieblingsrolle − ein umherstreifender
Fotograf. Vielen ahnungslosen Zielpersonen hatte er sich schon mit klickender Kamera genähert und ihnen mit ein paar Aufnahmen und dem Versprechen, ihr Foto in die nächste Ausgabe der italienische Vogue zu schmuggeln, den Tag gerettet und mehr. Flick und Valentine waren sich einig, dass Hughie eher Zimmer mit Aussicht war als La Dolce Vita , doch Marco wurde trotzdem abkommandiert, um Hughie in die Anfangsgründe eines schwelenden Blickkontakts einzuweihen.
Trotzdem, wie lange konnte es schon dauern, sich nach dem Preis von einem Paar Ohrringen zu erkundigen?
Hughie läutete, und ein makellos gekleideter Gentleman mittleren Alters drückte drinnen den Türöffner, um ihn einzulassen. Das Innere des Ladens war so opulent ausgestattet wie das Foyer eines Grandhotels, nur kleiner.
»Sir!«, rief der Mann, packte Hughies Hand und schüttelte sie mit ausholenden Bewegungen. »Was für eine Freude, Sie zu sehen. Percival Bryce zu Ihren Diensten! Was kann ich für Sie
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