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Der Flirt

Titel: Der Flirt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Tessaro
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kennen Leo.«
    Er bot ihr einen Stuhl an. »Ich hole Ihnen eine Tasse Tee. Mit Zucker. Sie stehen unter Schock.«
    Sie schaute ihm nach, wie er den Flur hinunterging, und sah sich dann um. Die Station war voller alter Menschen, die starben, allein. Entsetzen packte sie.
    Leticia setzte sich und nahm wieder Leos Hand.
    Er schlug die Augen auf.
    »Emily Ann!«
    Sie drückte seine Fingerspitzen.
    »Ich bin hier.«
    »Emily!«
    »Es ist alles gut, ich bin hier.«

    Seine Stimme war heiser. »Ich … ich muss dir etwas sagen …«
    »Ja?« Sie beugte sich vor.
    »Der Look steht dir nicht, meine Liebe.«
    Er lächelte.
    Sie drückte ihm einen Kuss auf die Fingerspitzen. »Dir deiner auch nicht.«
    Er schloss die Augen wieder. »Scheint, als würden wir uns gehenlassen.«
    Er glitt zurück in den dichten Nebel des Schlafes.
    Seine Hand wurde schlaff.
    Sie war allein.

Das A-Wort
    »Ich kann nicht. Nicht heute, Simon.«
    Olivia saß auf ihrem Bett, immer noch im Morgenmantel, mit dunklen Ringen unter den Augen. Irgendwann gegen halb fünf am Morgen war sie endlich eingedöst, nur um tränenüberströmt wieder aufzuwachen. Sie hatte wohl im Schlaf geweint. Sobald die Tränen einmal flossen, war die Flut nicht mehr aufzuhalten. Schluchzend, stöhnend, fast bellend vor Trauer und Verzweiflung, arbeitete sie sich durch eine ganze Schachtel Papiertaschentücher. Es gab nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnte. Sie war alt und kinderlos und allein.
    Dann rief zu unchristlicher Stunde Simon an.
    »Sie können!«
    »Nein.« Sie räusperte sich. »Ich kann wirklich nicht!«
    »Ich sage Ihnen, Olivia, Sie können!«
    »Aber Sie verstehen das nicht! Ich habe noch nie eine Ausstellung kuratiert! Und ich bin … ich bin« - sie suchte nach den richtigen Worten, um es taktvoll auszudrücken -, »ich bin heute nicht in bester Verfassung, Simon.«
    »Olivia«, sagte er streng, »ich brauche Sie. Ralph hat sich ein Bein ausgerissen, und es ist noch nicht alles fertig! Und wir können es uns nicht leisten, diese Ausstellung zu vermasseln. Abgesehen davon sind Sie der einzige Mensch, den ich kenne, der die Phantasie besitzt, die jetzt gebraucht wird. Es ist nicht verhandelbar. Ich fordere alle meine Gefallen ein. Ich brauche Sie jetzt!«

    Olivia sank zu Boden und landete auf den benutzten Papiertaschentüchern, die sich wie eine Schneewehe um das Bett herum aufgetürmt hatten. Es war ihr ein Rätsel, wie sie sich ankleiden und in die Galerie kommen sollte.
    »Olivia?« Er gab nicht auf.
    »Okay«, krächzte sie.
    »Wunderbar. Dann sehen wir uns in einer Stunde.«
    Er legte auf.
    Olivia schnäuzte sich zum siebentausendsten Mal. Sie brauchte dringend eine Zigarette.
     
    Sie saß im Morgenrock auf den Stufen hinter dem Haus und fummelte an einer Schachtel Streichhölzer herum, um sich eine vertrocknete Gauloise anzuzünden, die sie in einer alten Handtasche gefunden hatte.
    Eigentlich rauchte sie nicht. Nicht besonders stilvoll rammte sie sich die Zigarette zwischen die Lippen und riss das Streichholz so fest an, dass es zerbrach. Die Gauloise war eine richtige Zigarette − stark und beißend. Man konnte rauchen, man konnte sich aber auch die Lunge versengen. Doch sie brauchte das brennende Napalm; ihre Gedanken wirbelten wirr durcheinander, um eine vernünftige Erklärung für die gefundenen Beweise zu finden, während ihr Herz mit demselben Widerstand zerriss, mit dem ein alter Baum gefällt wird, dessen Stamm schmerzvoll und langsam zerteilt wurde.
    Sie war verschwunden. Ihre Welt. Ihre Antwort auf die Frage, wie man das Leben anpacken sollte.
    Wie konnte er ihr das antun? Was machte sie so … so austauschbar?
    Sie nahm einen tiefen Zug, hustete und spuckte.
    Wenn sie fertig geraucht hatte, würde sie reingehen und Simon anrufen. Er würde sich jemand anders suchen müssen.
Heute war ein Tag, um Beruhigungsmittel zu nehmen und sie mit Wodka hinunterzuspülen, und nicht, um neue Wege einzuschlagen.
    Der neue Springbrunnen vor ihr tröpfelte unbarmherzig wie ein lecker Wasserhahn. Es war ein scheußliches Ding im Barockstil, eine mit Gold überzogene Muschelschale, um die zahllose fette Putten und Delfine herumtollten und Wasser spuckten. Teuer, hässlich, alles andere als originell.
    Sie dachte an die schimmernde Aluminiumrinne, die, wie Ricki es formuliert hatte, ein saftig grünes Rasenquadrat wie eine Klinge durchschnitten hätte. Hätte sie doch nur den Mut besessen, auf sie zu hören. Sie nahm noch einen Zug, hustete und zog den

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