Der Flirt
Morgenrock enger um sich, denn die frische Morgenluft ließ sie zittern.
»Hier.«
Es war Ricki, die ihr eine offene Schachtel Marlboro Lights hinhielt.
Olivia errötete.
Bevor sie etwas sagen konnte, kniete Ricki sich hin und nahm ihr die Gauloise aus den Fingern.
»Lassen Sie uns die wegwerfen, ja?« Sie warf sie in den Brunnen, wo sie zischend verlosch und in der goldenen Schale auf und ab hüpfte. »Was haben Sie vor … wollen Sie sich umbringen?«
Keine schlechte Idee, überlegte Olivia.
Dann schüttelte Ricki zwei Zigaretten aus der Schachtel, steckte sich beide in den Mund und zündete sie mit einem ramponierten schwarzen Zippo an. Eine reichte sie Olivia.
All das tat sie mit geschmeidigen Bewegungen, selbstbewusst. Mit, wie ihre Mutter es genannt hätte, Verve.
»Danke.«
Ricki nickte, hockte sich neben sie und streckte ihre langen Beine aus.
Sie rauchten schweigend.
Nach einer Weile wies Ricki mit einem Nicken auf den Springbrunnen. »Also, gefällt er Ihnen?«
Olivia hatte Mühe, ein paar nette Worte zu finden. »Sie haben gute Arbeit geleistet.«
»Ja.« Ricki lachte. »Aber gefällt er Ihnen?«
»Er ist grässlich«, gab sie zu, zu erschöpft, um noch höflich zu sein.
»Ja. Ja, allerdings.«
Sie starrten darauf.
»Es ist nie zu spät. Wir könnten ihn immer noch loswerden.«
»Aber es ist das, worum ich Sie gebeten habe.« Unglücklich betrachtete Olivia die dicklichen Goldputten. »Sie haben genau das aufgestellt, was ich gesagt habe.«
»Na und?« Ricki zuckte die Achseln. »Sie dürfen es sich doch wohl anders überlegen.«
Was für ein gefährliches Konzept.
»Ehrlich?«
»Sicher. Jederzeit.«
Sie rauchten ihre Zigaretten zu Ende.
Ricki stand auf. Sie streckte Olivia die Hand entgegen und zog sie hoch.
»Danke.«
»Geht es Ihnen … Sie wissen schon … gut?« Rickis dunkle Augen waren voller Sorge. »Sie wirken ein wenig gestresst.«
Das überraschte Olivia. Niemand fragte sie je wirklich, wie es ihr ging. Arnaud jedenfalls nicht, und das Personal würde es nicht wagen.
»Mir geht’s gut.«
Ricki nickte. »Gut.«
»Danke für die Zigarette.«
»Kein Problem.«
Olivia wollte schon ins Haus gehen, doch plötzlich hielt sie inne und drehte sich um. »Mein Mann ist gestern ausgezogen.«
So etwas sagte man nicht zu seiner Gärtnerin. Sie hatte nicht vorgehabt, es überhaupt irgendjemandem, nicht einmal Mimsy gegenüber, zu erwähnen.
»Ehrlich?« Sie war erfrischend undramatisch. »Was ist passiert?«
»Ich weiß nicht. Wir kommen scheint’s nicht mehr klar.«
Es entstand eine Pause.
»Die Wahrheit ist, er betrügt mich.«
Was tat sie da? Wieso war sie plötzlich so offen?
Ricki schüttelte den Kopf. »Arschloch!«
»Wie bitte?«
»Was für ein Arschloch!«, führte Ricki aus.
Dieses Wort hatte Olivia noch nie in den Mund genommen, ja, sie dachte es nicht einmal. In ihrer Familie konnte man jemanden schon empfindlich treffen, wenn man ihn als »Esel« bezeichnete.
»Ja«, sagte sie, »was für ein Arschloch!«
Es tat ihr überraschend gut, es auszusprechen − ein Wort voller scharfer, unverfrorener Laute.
Sie sagte es noch einmal.
»Ein richtiges Arschloch!«
»Da haben wir’s. Männer! Was für ein dämlicher Idiot!«
»Finden Sie?«
»Der größte Idiot, der mir je begegnet ist!«, meinte Ricki entschieden.
Vorher war es ihr sehr kompliziert vorgekommen, jetzt war es schmerzlich, aber einfach. »Ja. Ja, vermutlich.«
»Und was haben Sie jetzt vor?«, wollte Ricki wissen.
»Ich?« Die Frage war fast ein wenig zu persönlich.
»Ja.« Ricki lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was für Pläne haben Sie?«
Bis dato hatte niemand von Olivia je erwartet, irgendetwas zu tun, am wenigsten Olivia selbst. Handlungen, Leistungen waren freiwillig. Ihre schreckliche Situation gewährte ihr doch sicher Immunität vor solchen Anforderungen.
»Ich weiß nicht.«
Ricki zupfte ein winziges Wildkraut aus, das zwischen den Pflastersteinen wuchs. »Ich würde mir einen Verpiss-dich-Anwalt anheuern.«
»Einen Anwalt? Sie meinen, Sie glauben, die Ehe ist vorbei?«
Ricki schaute auf. »Haben Sie nicht gerade gesagt, er schläft mit einer anderen?«
»Ja, aber …« Ihre Stimme verlor sich.
In Olivias Familie schleppten sich Ehen unter der Last weitaus schwergewichtigerer Treuebrüche als nur ehelicher Untreue dahin. Sie hörte praktisch schon die Stimme ihres Vaters: »Wenn ein Van der Lyden sich sein Bett macht, dann bleibt
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