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Der Flirt

Titel: Der Flirt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Tessaro
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etwa Ihr Alter, ehrlich.« Er schaute in die traurigen grauen Augen der Frau. »Ihre Hautfarbe ist nicht so zart wie Ihre. Sie ist natürlich hübsch, aber nicht so gepflegt wie Sie. Dürfte ich?«
    »O nein! Na, wenn Sie meinen, gerne. Nichts zu danken!«
    Henry legte ihr den luxuriösen, kühlen Seidenschal kunstvoll um die Schultern und trat einen Schritt zurück.
    Sie errötete erneut. »Und, was meinen Sie?«
    Henry betrachtete sie, als wäre sie keine Geringere als Botticellis Venus. »Wenn Poppy doch nur Ihren Stil besäße!«, sagte er schließlich. »Was für ein Hals! Wie ein Schwan! Und die Form Ihres Kinns!«

    »Mein Kinn?« Sie drehte sich zum Spiegel um und neigte den Kopf, um sich anzusehen. »Sie … Sie finden, ich sehe gut aus?«
    »Sie sind nichts Geringeres als ein Traumbild!«
    Der Verkäufer schnaubte.
    Henry achtete nicht auf ihn. »Das einzige Problem ist jetzt, dass Sie es für mich verdorben haben. Es wäre ein Sakrileg, einer anderen Frau jetzt diesen Schal zu kaufen, nachdem ich gesehen habe, wie er wirklich getragen werden sollte.«
    »Das glaube ich nicht!« Sie kicherte mädchenhaft.
    »Doch.« Henry schüttelte den Kopf und lächelte traurig. »Ich bin bei so etwas sehr sensibel. Wenn ich einmal Perfektion gesehen habe, kann ich nichts Geringeres akzeptieren. Die arme Poppy wird sich mit etwas anderem begnügen müssen.«
    Die Frau stand wie gebannt vor dem Spiegel.
    »Dann kann ich die jetzt wohl wegpacken«, fuhr der Verkäufer auf und beugte sich vor, um die Vitrine wieder zu öffnen.
    »Es war mir eine unverhoffte Freude.« Henry verbeugte sich noch einmal und ging davon. Er nickte Hughie, der hinter einem Ständer mit Schirmen stand, zu.
    In diesem Augenblick sah Hughie, dass die Frau in Windeseile einen Schal in ihre Tasche schob.
    Er versuchte, es Henry mit Gesten zu verstehen zu geben, doch Henry starrte ihn nur böse an.
    »Du meine Güte, ich muss los!« Sie rannte zur Tür.
    »Erlauben Sie!« Henry, stets der Gentleman, beeilte sich, ihr die Tür aufzuhalten, und blickte ihr nach, wie sie die Straße hinunterlief.
    Der Verkäufer schaute auf. »Oh, mein Gott. Ein Dieb!«
    Es gab ein kollektives Aufkeuchen.

    »Wo?« Henry schaute sich um.
    »Da!« Der Verkäufer zeigte auf ihn. »Ein Dieb!«
    Henry blinzelte. »Ich fürchte, das ist ein Missverständnis!«
    »Ein Dieb! Ein Dieb!«, schrie der Verkäufer.
    Ein halbes Dutzend Wachleute in schwarzen Anzügen tauchten auf, jeder so schwer wie ein Kleinwagen.
    Hughie ergriff die Initiative, schob Henry zur Tür hinaus auf die Bond Street, brüllte: »Lauf!«, packte ihn an der Krawatte und zog ihn hinter sich her. »Komm, alter Bursche! Halt Schritt!«
    »Oh, Mist, verdammter!«, keuchte Henry und lief hinter ihm her.

Die Fahrt zum Leuchtturm
    Wenn Sie je Ihr Neugeborenes in den Armen gehalten haben, dann wissen Sie, wie Jonathan Mortimer sich fühlte, als er das winzig kleine Mädchen, das sich im Schlaf an ihn schmiegte, in der Armbeuge hielt. Ich will gar nicht versuchen, es zu beschreiben, es soll genügen, zu sagen, dass es einer der größten Augenblicke ist, die das Leben zu bieten hat − eine kurze Atempause, in der die Welt in Ordnung ist, wenn Mutter und Baby sicher sind, wenn Erleichterung und Triumph sich auf eine Art vermischen, die nur allzu selten vorkommt.
    Die Vorhänge waren um das Bett zugezogen, doch sie sperrten nicht den Lärm der anderen Frauen und Babys auf der Station aus und auch nicht den Duft des Currys, den die Mutter der indischen Frau in dem Bett neben Amy ihrer erschöpften Tochter mitgebracht hatte.
    Von all dem bekam Jonathan nichts mit. Erst als er strahlend vor lächerlicher väterlicher Freude über das, was er geschafft hatte, aufschaute, bemerkte er, dass Amy ungewöhnlich still war. Sie war auf eine Weise still, die dem bedeutenden Augenblick, den er gerade erlebte, vollkommen entgegenstand, und das machte ihm Angst. Also sagte er, was er immer sagte, wenn er nicht wusste, was er sagen sollte.
    »Ich liebe dich, Schatz.«
    »Tatsächlich, Johnny?«
    Sie nannte ihn nur sehr selten bei diesem Kosenamen, der
auf ein anderes Leben zurückging, das sie miteinander geteilt hatten, bevor die Aufteilung häuslicher Arbeit sie zu einer eher formellen Anrede gezwungen hatte.
    Er lachte wie ein schlechter Schauspieler, der den Geist der vergangenen Weihnacht spielte. »Was soll das? Natürlich liebe ich dich! Hat hier etwa jemand einen Anfall von postnataler Depression?«
    Sie wandte sich ab.

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