Der Flirt
Menschen zu schätzen, bis es, natürlich, zu spät war.
Henry erbleichte, stand da und öffnete und schloss den Mund wie ein Fisch. »Du glaubst, ich bin fünfzig?«
»Nein … ehrlich nicht … habe ich das gesagt?«
»Ja, hast du! Du hast fünfzig gesagt! Fünfzig verdammte Jahre alt!«
»Ich nehme dich auf den Arm! Komm schon! Bleib locker, Henry! Schau doch mal« - er fingerte auf dem Teetablett herum -, »Shortbread! Mhmm! Möchtest du eins?«
»Nein, möchte ich nicht! Ich kann nicht glauben, dass du mich für so alt hältst! Ich bin erschüttert! Zutiefst erschüttert!«
»Also, bei so etwas bin ich ziemlich miserabel. Bitte sag mir, wie alt bist du wirklich?«
Henry versteifte sich. »Also, fünfzig, wenn du es unbedingt wissen willst.«
Hughie starrte ihn einen Augenblick an und stellte dann seine Teetasse ab. »Okay, also, das ist albern. Ich komme damit klar, dass ich Frauen, die aus keinem bestimmten Grund vorübergehend unsicher sind, mit Glacéhandschuhen anfassen muss − ungeachtet ihres Alters oder Gewichts, ihrer Größe oder Haarfarbe, was auch immer! Aber wenn Männer sich auch so anstellen, sich genauso lächerlich machen …« Er stand energisch auf. »Nein, sage ich. Absolut nicht! Wo ist das stille Heldentum des einsamen Mannes? Wo sind die Clint Eastwoods, die Steve McQueens, die Robert Mitchums dieser Welt? Wo sind die Männer, deren ganze Körperpflege aus nichts anderem bestand als aus einem Gang zur Toilette und einer Rasur? Wer hat der Zeit ins Gesicht gespuckt und die Falten mit Stolz getragen? Ich frage dich, würde Bogart sich die Bohne um plastische Chirurgie scheren? Würde John Wayne sich Sorgen um Sonnenschutzmittel machen? Würde Sean Connery einen zweiten Gedanken an sein Doppelkinn verschwenden? Niemals! Es schaudert mich bei dem Gedanken daran, auf was für eine Art von schaler Existenz wir uns freuen dürfen, wenn wir in diesen eigentümlichen, verhängnisvollen weiblichen Geisteszustand geraten, der gänzlich von der Anerkennung durch andere abhängig ist, bevor wir uns
selbst sehen können. Kurz gesagt, Henry, du führst dich auf wie ein Mädchen!«
Er setzte sich wieder und trank seinen Tee aus.
Schließlich sagte Henry etwas.
»Ich … ich schäme mich so! Meine einzige Entschuldigung ist die, dass ich schon viel zu lange in diesem Beruf bin. Er bedeutet mir alles … mein ganzes Leben! Und ich nehme an, ich bin ein wenig … ein wenig närrisch geworden«, schloss er.
Hughie zog eine Augenbraue hoch. »Du hattest nie einen anderen Beruf?«
Henry schwieg.
»Du kannst doch nicht dein ganzes Leben lang in Hotels gelebt haben! Warum hast du keine Fotos? Was ist mit deiner Familie?«
Henry schloss die Augen. »Ich habe keine Familie. Weißt du, ich bin ein Betrüger, Hughie. Ein schrecklicher alter Betrüger. Ich sollte das alles aufgeben und mich zur Ruhe setzen. Ich habe dieses Spiel satt. Finito!«
Er ging durch den Raum und öffnete den Schrank, in dem die Hausbar untergebracht war.
»Lass uns was Richtiges trinken.« Er holte eine Flasche Scotch heraus, schenkte zwei Gläser ein, reichte eines Hughie und setzte sich wieder. »Ich sag dir, warum ich keine Fotos habe, keine Familie.« Er machte eine Pause, als müsste er Kraft sammeln, um fortfahren zu können, dann lächelte er schief. »Das Leben ist seltsam, junger Smythe.«
»Das kannst du laut sagen.«
»Es war folgendermaßen«, begann Henry. »Als ich noch ziemlich neu war im Spiel, vor gut zwanzig Jahren, bekam ich einmal den Auftrag, mit einer jungen Frau zu flirten. Ihr Ehemann hatte sich an uns gewandt. Er war ein ziemlicher Schürzenjäger, der immer wieder mit runtergelassenen Hosen
erwischt wurde, und er wollte sie aufmuntern. Damals war das alles noch ein bisschen provisorischer. Flick hat keine Berichte vorbereitet − sie war damals noch gar nicht bei der Agentur. Valentine hat uns nur ein Foto gegeben und einen Ort genannt, und wir mussten improvisieren.« Er trank einen Schluck Scotch. »Also, ich war ein wenig anmaßend − jung, gut aussehend und Geld in der Tasche. Ich dachte, ich hätte alles schon gesehen und erlebt! Der Ort, wo ich sie treffen sollte, war das Kaufhaus Peter Jones, und meine Zielperson schaute sich Handtücher an.« Er unterbrach sich und blickte verträumt in den Raum. »Das Foto wurde ihr nicht gerecht. Ich sage dir, von dem Augenblick an, da mein Blick auf sie fiel, war ich verloren! Und als ich zu ihr ging, um sie anzusprechen, brachte ich absolut keinen Ton
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