Der Flirt
diese große Macht entfalten, denn sie wird eine Bedeutung gewinnen, über die Sie und ich nur staunen können.«
»Oh.«
Hughie konnte seine Enttäuschung kaum verbergen. Wenn überhaupt, dann wollte er mehr Hinweise hinterlassen, so
schnell wie möglich, um ganz sicherzugehen, dass Leticia den Köder auch wirklich schluckte.
Er vermisste sie.
Er war sich zumindest ziemlich sicher, dass er sie vermisste.
Das Gespräch mit Flick hatte unbehagliche Zweifel gesät. War es wirklich so schwierig? Musste er sich tatsächlich so viel Mühe geben? Andererseits, je mehr Mühe er sich gab, je klarer bewies dies, dass er sie liebte.
Seine Gefühle waren sein Kompass. Und Gefühle hatte er viele; einige köstlich, andere schmerzlich, alle durchsetzt von einem intensiven körperlichen Verlangen. Es war heroisch, für die Liebe zu leiden, erhaben.
Abgesehen davon konnte er Leticia mit Hilfe von Flicks Sachkenntnis dazu bringen, ihn zu lieben … ob sie wollte oder nicht.
Venus blinzelt
Als Hughie an diesem Abend nach Hause kam, war seine Schwester Clara betrunken. Sie hatte allein fast eine ganze Flasche des besten Chablis von Tesco hinuntergekippt und alles, was Malcolm ihr je geschenkt − sowie alles, was er je berührt − hatte, im Vorderzimmer in einen riesigen schwarzen Müllsack gestopft. Da dies Hughies provisorisches Schlafzimmer war, sah er sich genötigt, sich eine Weile zu ihr zu setzen, während sie ihm erzählte, wie sie Malcolm in einer äußerst verfänglichen Umarmung mit einem männlichen Mitglied der Belegschaft im Katalograum von Sotheby’s erwischt hatte.
»Es war dieser … dieser Kretin aus der Abteilung für kleine Ziergegenstände!« Mit einem Fleischklopfer schlug sie das Pflanzgefäß aus dem achtzehnten Jahrhundert, das Malcolm ihr einst geschenkt hatte, beherzt in Stücke. »Der mit dem Spitzbart! Er hat mir erzählt, er müsste wegen einer eiligen Schätzung lange arbeiten, und ich dachte: ›Ich überrasche ihn. Bringe ihm zum Abendessen ein Sandwich vorbei!‹ Verdammter Räucherlachs!« Krach! »Auf verdammtem Vollkornbrot!« Krach! »Mit Zitrone und verdammtem zerstoßenem Pfeffer!« Mit Verve trat sie nach dem Müllsack. Er riss auf, und sein Inhalt purzelte heraus.
Clara starrte darauf. Dann brach sie schluchzend auf dem Sofa zusammen.
Hughie holte einen neuen Müllsack und schaufelte die
Reste des alten hinein. Dann holte er ihr aus dem Bad eine Rolle Toilettenpapier.
Sie schnäuzte sich laut die Nase und schenkte sich ihr Glas wieder voll.
Es war schrecklich, sie so zu sehen. Clara war nicht der Mensch, der weinte. Schon als Kind nicht. Sie war immer hart und nie krank gewesen, hatte einen nie im Stich gelassen und hatte ihre Zeit nicht mit Make-up, Klamotten oder Temperamentsausbrüchen vergeudet. Sie war fleißig, pünktlich und einfallsreich, genau der Mensch, den man sich an seiner Seite wünscht, wenn je ein Krieg ausbrechen sollte. Doch in Herzensangelegenheiten war Claras beträchtliche Selbstdisziplin nutzlos, und es machte Hughie nervös, sie so hilflos zu erleben.
»Aber du musst doch gewusst haben … ich meine, jeder weiß, dass er …« Hughie unterbrach sich. Er hatte es nie laut ausgesprochen. »Du weißt schon … schwul ist.«
Einen Augenblick dachte er, sie würde wütend werden. Doch stattdessen kippte sie noch einen kräftigen Schluck Wein hinunter. Dann starrte sie eine ganze Weile auf den Boden.
»Ich wusste, dass er gewisse … Neigungen hatte.«
»Und warum hast du nicht …?«
»Sieh mich an! Los!«, fuhr sie ihn an. »Was siehst du? Wohl kaum eine ›Hochglanzmagazin-Schönheit‹, oder? Ich bin nicht wie du, Hughie! Ich bin nicht schön!«
»Das ist nicht wich …«
»Hör bloß auf!«, unterbrach sie ihn. »Seit ich klein bin, habe ich immer gewusst, dass ich mich begnügen muss. Immer.«
»Clara …«
»Das reicht.« Sie stand, gefährlich wankend, auf. »Mir reicht’s mit der ganzen verdammten Angelegenheit! Jetzt
wird mir schlecht«, verkündete sie, »und dann gehe ich schlafen. Tu einmal was Nützliches und bring den Müll raus, ja? Und vergiss deinen verdammten Schlüssel nicht!«
Sie wankte den Flur entlang ins Bad.
Hughie schleifte den Müllsack die Treppe hinunter zu den Mülleimern, setzte sich auf die Stufen vor der Tür und rauchte eine letzte Zigarette.
Es war spät.
Morgen würde Clara mit einem Kater aufwachen. Sie würde ihr marineblaues Kostüm anziehen, sich die Zähne putzen und in die U-Bahn steigen. Er kannte
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