Der Fluch der bösen Tat
nicht ausstehen. Durch ihre Arbeit im dänischen PEN waren ihr bis ins Detail sämtliche Widerwärtigkeiten bekannt, auf die Regime und mithin Menschen verfallen konnten, um andere Menschen zu peinigen und zu plagen. Sie hatte mit vielen gefolterten, gefangenen und mißhandelten Schriftstellern und Journalisten gesprochen. Über Unterdrückung und Bosheit wußte sie nur allzu gut Bescheid. Aber sie wollte deshalb auf keinen Fall resignieren und zynisch werden. Denn dann hätten die Folterknechte gewonnen. Sie wollte an das Gute glauben, daran, daß es eine Chance hatte.
Es war angenehm, wieder an die Luft zu kommen. Es hatte sich bewölkt, ein Regenschauer zog über die schwedische Küste und graue Streifen verschleierten den Horizont. Aber der Schauer erreichte den Sund nicht, und einige Minuten später wölbte sich ein vollkommener Regenbogen über dem Land. Sie nahm es als gutes Zeichen und war zum ersten Mal zuversichtlich, daß sich schließlich alles regeln würde. Das mit Ole, das mit Per und das mit Sara.
Wie in einen Film mit einem Happy-End.
16
OLE CARLSEN und Vuk aßen in einem kleinen französischen Restaurant in der Innenstadt zu Abend, wo Ole mehrmals mit Lise gewesen war, nachdem sie sich gerade kennengelernt hatten. Er hatte es in einem Anflug nostalgischen Gefühls vorgeschlagen, denn er fand die dortigen Preise im Verhältnis zur Qualität des Essens eigentlich übertrieben, aber es hatte einen guten Ruf und war gerade wieder sehr angesagt, außerdem hatte er Lust, seinem neuen jungen Freund zu imponieren. Als sie eintraten, hatte er auch sofort einen der neuen TV-Entertainer entdeckt, der mit mehreren Leuten an einem guten Tisch in der Ecke saß.
»Ach, Carl Ohmann speist auch hier«, hatte er gesagt, aber Vuk hatte nicht sehr interessiert dreingeschaut, so als hätte er keine Ahnung, von wem Ole eigentlich sprach. Und das war doch ziemlich unwahrscheinlich, denn Ohmann war in letzter Zeit in aller Munde gewesen. Er hatte eine neue Form der sonnabendlichen Fernsehunterhaltung geschaffen, über die den ganzen Winter und Frühling diskutiert worden war. Aber an Vuk waren mehrere Dinge etwas sonderbar und paßten im Grunde nicht zu seinem prosaischen Job als Vertreter von Plastiktüten. Er interessierte sich für die verkehrten Sachen.
Vuk hatte sich gepflegt, aber lässig angezogen: helles Hemd, blaue Hose mit Bügelfalten und graue Tweedjacke, aber ohne Schlips. Mehrmals im Laufe des Tages hatte Ole daran gedacht, die Verabredung abzusagen und sich lieber einen Ruck zu geben und mit Lise zu sprechen. Er hatte bei der Zeitung angerufen und erfahren, daß sie einen Termin außer Haus hatte. Nein, sie könnten nicht sagen, wo sie sei. Er hatte sich zusammengerissen und sich um seine Patienten gekümmert, ihre Probleme angehört und versucht sie zu lösen, obwohl er immer mehr das Gefühl bekam, daß er gar nichts zu sagen hatte und nichts tun konnte, um die Neurosen, mit denen sich eine zunehmende Zahl von Dänen herumschlug, zu heilen.
Aber er war froh, an der Einladung festgehalten zu haben. Er genoß das Essen mit dem jungen charmanten Jüten, der mit seinem Leben und seiner Arbeit zufrieden zu sein schien: Er verkaufte Plastiktüten an Supermärkte, damit die Leute ihre Kartoffeln hineinstecken und selber abwiegen konnten. Angeblich lebten die Dänen ja in einer Dienstleistungsgesellschaft, in Wahrheit wurde die Dienstleistung aber immer weniger. Als eine Tankstelle noch Tankstelle hieß, gab es Service. Die Mitarbeiter füllten das Benzin ein, prüften den Ölstand, pumpten die Reifen auf und putzten die Windschutzscheibe. Als man anfing, die Tankstellen in Servicestationen umzubenennen, durfte der Kunde dann alles selbst machen. Ole sah das Paradoxe daran und fand es amüsant, als Carsten – wie sich Vuk ihm vorgestellt hatte – ihn darauf hinwies. Beim Essen hatten sie über Gott und die Welt gesprochen. Ole fühlte sich in der Gesellschaft des jungen Mannes einfach wohl. Sie hatten guten Wein bestellt und waren bei der zweiten Flasche, und Ole merkte, daß er davon den Löwenanteil getrunken hatte, außerdem mußte er zugeben, daß er ja schon etwas früher angefangen hatte. Das war eine schlechte Angewohnheit, aber im Laufe des Tages brauchte er hin und wieder einen Schnaps, deshalb stand immer eine Flache Wodka in der Praxis. Das war immer noch besser als Pillen, und wenn er demnächst sein Privatleben wieder unter Kontrolle hatte, würde die Flasche natürlich verschwinden. Aber
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