Der Fluch der bösen Tat
Mikaels besonderes Talent gewesen, andere zum Lachen zu bringen. Vuk war kurz davor, ihn wieder genauso gern zu haben, wie Janos ihn gern gehabt hatte.
»Du warst schon immer ein durchgeknallter Typ, Mikael«, sagte er. So hätte Janos es auch gesagt.
Mikael lachte fröhlich zurück. Die etwas verlegene Stimmung zwischen ihnen hatte sich gelegt, es war fast wieder wie in alten Tagen.
»Kann gut sein. Macht aber nix, wenn die Eltern den Arsch voll Geld haben«, sagte er.
Er goß Cola nach.
»Und wie geht’s deinen Eltern? Da unten geht’s ja drunter und drüber, nicht?« sagte er.
»Sie sind tot. Sie wurden zusammen mit Katarina ermordet«, sagte Vuk tonlos.
»Was sagst du da? Vuk und Lea sind tot? Und Katarina? Was für eine Scheiße. Das tut mir leid, Janos. Hab ich’s nicht gesagt? Von Menschen soll man sich fernhalten.«
»Ja, Mikael. Das hast du gesagt.«
Die Verlegenheit kehrte zurück. Mikael zupfte sich am Ohr und pulte am Etikett der Cola-Flasche. Durch das halboffene Küchenfenster hörten sie das Meer und einen Nachbarn, der irgendeine laut heulende Gartenmaschine in Gang setzte.
»Kannst du immer noch Programme knacken wie früher?« fragte Vuk.
Mikael lebte auf. Er mußte nicht mehr über Grausamkeiten reden.
»Besser denn je.«
Vuk holte die Diskette aus seiner Innentasche.
»Was ist da drauf?«
»Der Schlüssel zum Erfolg«, sagte Vuk und lachte, und Mikael lachte auch, und die gute Stimmung kehrte zurück.
»Komm, wir gehen in die Höhle«, sagte Mikael.
Obwohl Mikael jetzt über das ganze Haus verfügte, hatte er sein altes großes Zimmer behalten. Dieselbe alte gestreifte Tapete und dasselbe alte ungemachte Bett. An den Wänden hingen nach wie vor Dinosaurier-Poster und ein neues Plakat, das Bill Gates von Microsoft zeigte, anscheinend Mikaels einziges Idol. Hier stand noch immer derselbe alte Ledersessel, den Mikael zur Konfirmation bekommen hatte, und in der Ecke der alte Schreibtisch. Das Zimmer war mit Computerzeitschriften, CD-Roms, Leitungen und Disketten übersät, aber in dem ganzen Chaos war eine gewisse Ordnung zu erahnen. Auf neuen Computertischen standen zwei große Rechner, und auf einem anderen kleinen Tisch stand ein Laptop. Es gab mehrere Drucker und viele Kabel und verschiedene Handbücher. Es gab zwei Telefone, einen Scanner, und auf dem alten Schreibtisch stand ein Farbfernseher, in dem CNN ohne Ton lief. Der Schreibtischstuhl hatte Rollen und sah neu und sehr komfortabel aus. Das Fenster war einen Spaltbreit geöffnet, und der Wind trug den Geruch von Tang und Meer ins Zimmer.
CNN zeigte Bilder aus Bosnien. Sie sahen einen Mann, der mit einer langen Stange in der Erde wühlte. Um Mund und Nase hatte er ein Tuch gebunden. Im nächsten Ausschnitt hielt er einen Schädel in der Hand. Mikael sah vom Bildschirm weg und deutete auf den Ledersessel. Vuk entfernte ein paar Zeitschriften und setzte sich. Mikael nahm auf dem Schreibtischstuhl Platz. Drehte ihn, so daß er auf den Monitor blickte und Vuk im Rücken hatte. Er bewegte die Maus, und ein Summen teilte mit, daß der Rechner aus seinem Ruhezustand erwachte.
»Ich versuche ja ein wenig auf dem laufenden zu bleiben«, sagte Mikael. »Was ist passiert? Was kann ich für dich tun?«
»Auf welche Frage soll ich zuerst antworten?« sagte Vuk.
Mikael fuhr mit der Maus über die Unterlage. Vuk merkte, daß er nervös und wieder verlegen war. Er mochte nicht über das Schicksal von Vuks Eltern und seiner kleinen Schwester Katarina sprechen, die sechs Jahre jünger als sie gewesen war, aber trotzdem meinte er, sich danach erkundigen zu müssen. Es ging ihm wie vielen Menschen. Eigentlich wollten sie nichts mehr davon hören und hatten genug von diesem unsinnigen Krieg.
»Ich weiß nicht. Auf die erste, dann kann ich währenddessen arbeiten«, sagte er.
Vuk stand auf und reichte ihm die Diskette. Mikael nahm sie und sah Vuk fragend an.
»Darauf ist eine Datei, die mit einem Kodewort geschützt ist. Kannst du da reinkommen?«
»Weißt du, welches Programm es ist?« fragte Mikael erleichtert. Jetzt war er in seinem Element.
»Wordperfect 5.1.«
Mikael drehte den Stuhl, so daß er Vuk wieder den Rücken zuwandte, und steckte die Diskette ins Laufwerk.
»Kinderspiel«, sagte er und fing an, alles mögliche einzugeben. Vuk stand schräg hinter ihm und folgte den Buchstaben und Ziffern, die über den Bildschirm tanzten.
»Was bist du eigentlich, Janos? Serbe? Oder Kroate?« fragte Mikael, während er arbeitete.
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