Der Fluch der Druidin
doch alle! Vor der Schlacht will jeder noch sein Bestes geben, nicht wahr? Nicht, dass sich unsere Frauen noch wünschen, die Römer würden siegen!« Wiehernd vor Lachen über seinen eigenen Witz, winkte der Wachposten Atharic vorbei.
Atharic hatte Talia in den Überresten eines niedergebrannten Gehöfts an der Straße zwischen Mediolanum und einer Stadt, die der Krüppel als Vercellae bezeichnet hatte, zurückgelassen. Der Krüppel selbst war nicht mitgekommen und in Mediolanum geblieben, was Atharic nur recht war. Atharic hätte gar nicht erklären können, weshalb, aber er mochte diesen zwergenhaften Helvetier nicht, traute ihm nicht. Es war besser, wenn Viriotali in Mediolanum blieb und dort nach einem Händler suchte, dem er eine Nachricht für Caran mit auf den Weg geben konnte für den Fall, dass Atharic und Talia scheiterten. So oder so bezweifelte Atharic, dass er den Krüppel nochmals wiedersehen würde.
Atharic bückte sich, wie um seine Sandalen neu zu binden, während er gleichzeitig überprüfte, ob die flache, in ein Tuch eingeschlagene und unter seinem Fußballen verborgene Feuersteinklinge sich auch noch dort befand. Die Klinge mochte klein sein, war jedoch schärfer als jedes Messer und Atharics Absicherung, sollte er in Gefangenschaft geraten. Dunkel erinnerte er sich daran, dass es Caran gewesen war, der ihm diesen Trick einst verraten hatte und dass dieser selbst lange hatte suchen müssen, bis er einen Mann fand, der die vergessene Kunst des Feuersteinschlagens noch beherrschte.
Der Gedanke an Caran zog einen anderen, unerwünschten, nach sich: War er der Einzige, der hinters Licht geführt worden war, oder wusste Caran, dass Sumelis nicht Atharics Tochter war? Hatten er und Talia jemals wirklich darüber gesprochen, oder war die Vergewaltigung durch Dago ein Thema, das Caran niemals anzusprechen gewagt hatte?
Talia wäre ihm ins Gesicht gesprungen, wenn er sie danach gefragt hätte.
Ein geringer Trost. Aber Caran hätte sich immer noch bei Sumelis erkundigen können.
Sumelis. Wieso hatte
sie
es ihm nicht gesagt? Zumindest von ihr hätte er etwas anderes erwartet. Verdammt, sie hatte es vom ersten Moment an gewusst! Schon als siebenjähriges Mädchen, als sie sich zum ersten Mal trafen, hatte sie die Wahrheit gekannt: dass Atharic nicht ihr leiblicher Vater war.
»Sie hat dich gewählt«, hatte Talia ihm zu erklären versucht. »Sumelis hat niemals einen Vater gehabt, bis sie dich traf. Und dann sah sie, wie deine Seele zu strahlen anfing, sobald du ihr nahe kamst. Götter, ich erinnere mich noch, wie sie damals zu mir sagte, wie sehr ihr das gefiele. Das Aufleuchten deiner Seele bei ihrem Anblick. Sie sagte, es sehe schön aus.«
»Lügen sind oft schön«, hatte Atharic kalt erwidert.
»Ja, du hast recht.« Gewispert. »Es war die schönste Lüge meines Lebens. Und die glücklichste. Sie hat so vieles wettgemacht.«
Der letzte Satz war kaum mehr hörbar gewesen, trotzdem hatte Atharic ihn verstanden. Aber er hatte sich geweigert, darüber nachzudenken, was in ihm mitschwang. Eine Lüge blieb eine Lüge.
Atharic zwängte sich zwischen zwei Wagendeichseln hindurch. Mit einem einzigen Schritt tauchte er ein in das Lager der Kimbern, von dem er vor zehn Jahren angenommen hatte, er würde es niemals wiedersehen. Er wusste, er würde niemandem auffallen in seinen einfachen Kleidern, die sich kaum von jenen der ärmsten Kimbern unterschieden, den nackten Schienbeinen und Armen, die keine Schutzwaffen trugen, nur mit einem von wenigen Nieten verzierten Gürtel über einem zerschlissenen Hemd und einem Dolch an der Seite. Sogar sein Schwert hatte er zurückgelassen. Es würde ihm nichts helfen. Für das, was er heute vorhatte, musste sein Glück genügen.
Die Geräusche und Gerüche des Lagers waren so vertraut, dass Atharic in sie eintauchte, ohne sie überhaupt bewusst wahrzunehmen. Einem Fremden hätten sie die Sinne betäuben können, sogar nachts, doch Atharic begrüßten sie wie einen Heimkehrer: das Knarren von Holz, Achsen und Rädern, wenn sich Menschen auf den Wagenkästen bewegten, die Laute von Rindern, Ziegen, Hunden, Gestöhne in einer dunklen Ecke. Irgendwo plärrte ein Säugling, Schnarchen, Stimmengemurmel, in der Ferne eine leise gespielte Flöte. Vor allem jedoch der allgegenwärtige Gestank von Abfällen und Ausscheidungen, der in der warmen Luft noch schwerer dräute, obwohl das Lager an dieser Stelle noch jung und gerade erst errichtet worden war.
Es schien, als
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