Der Fluch der Druidin
verzogen sich verächtlich. »Krüppel, viel lächerlicher könnt Ihr Euch nicht mehr machen! Einen Fluch aufzuheben ist etwas anderes als die Gutenachtgeschichten, die Euch Eure Amme ins Ohr geflüstert hat!«
»Was hattet Ihr erwartet?« Die Priesterin lachte noch immer. »Dass Ihr von jemandem wie unserem Krüppel den Ratschlag eines Mannes erhalten würdet?«
»Er hat recht.«
Die drei Augenpaare, die sich ungläubig auf sie richteten, trieben Sumelis nun doch einen Schritt zurück. Kurz fühlte sie Nandos Hand auf ihrem Rückgrat und seinen Zeh unter ihrer Ferse, bevor er wieder Abstand zwischen sie beide brachte und seinen Fuß zurückzog. Trotzdem hatte die kurze Berührung an ihrem Rücken ihr Mut gemacht.
»Er hat recht«, wiederholte sie. »Es sind Gefühle, und egal wo sie herkommen, ob im Wachen oder in der Anderen Welt, in der Eure Seele im Schlaf wandelt: Wenn sie Eure Seele vergiften, Boiorix, sollte ich in der Lage sein, sie zu sehen und zu beeinflussen. Und Euch gegen sie abschirmen, so denn ich den Fluch schon nicht aufheben kann.«
Der Krüppel starrte sie mit offenem Mund an. Offensichtlich hatte nicht einmal er selbst geglaubt, dass sein Vorschlag Gehör finden würde. Ein kurzes Aufleuchten glitt über sein Gesicht und verschwand genauso schnell wieder. Dennoch schien er ein Stück zu wachsen. Boiorix’ nachdenklicher Blick glitt von ihm zu Sumelis. Schließlich nickte er.
Talia und Atharic hatten ihr Nachtlager im Schutze von die Berghänge bedeckenden Fichtenwäldern aufgeschlagen. Hier, auf halber Höhe über dem Tal, war der Wald weder von Rodungs- noch Weideflächen durchbrochen und dicht genug, damit sie nahezu sicher sein konnten, unentdeckt zu bleiben. Aus demselben Grund konnten sie selbst auch nur einen kleinen Ausschnitt des Talgrunds unter ihnen erkennen, vor allem der Eingang der Schlucht war ihrem Blick verborgen. Ihr Führer hatte ihnen die Schlucht als einen finsteren Ort beschrieben, an dem Fluss- und Berggeister um die Seelen der wenigen Reisenden stritten, die sich zwischen die steil aufragenden Felswände verirrten. Kein sehr einladender Gedanke.
Der Trupp, den der brigantische Fürst ihnen mit auf den Weg gegeben hatte, hatte sie sicher durch das Gebiet der Vennonenser und Caluconen geleitet. Sie hatten sich am Grund des meist breiten Tals entlang eines von Auenwäldern gesäumten Flusses bewegt. Es war ein leichter Weg gewesen, sie waren zügig vorangekommen und von niemandem aufgehalten worden. Die Nächte hatten sie sogar unter einem Dach mit einer warmen Mahlzeit verbringen können, umgeben von den fröhlich in ihrer eigentümlichen Sprache schnatternden Kindern der bergstämmischen Hofbewohner, bei denen sie gastierten. Als sie jedoch den ersten Engpass erreichten, hinter welchem das Gebiet der Suaneten begann – ein Bergstamm, der, wie der brigantische Fürst sich ausgedrückt hatte, über die Gastfreundschaft eines aus dem Schlaf gerissenen Bären verfügte –, waren die Krieger umgekehrt und hatten Talia und Atharic nur mit einem einzigen Mann als Führer weiterziehen lassen. Mit einem so großen Trupp wie dem ihren könnten sie nicht unbemerkt reisen, behaupteten sie, sondern würden einen Angriff der Suaneten erst recht provozieren. Drei Reisende ohne Gepäck hingegen könnten sich leichter unentdeckt bewegen, und sofern sie arm genug aussahen und viel Glück hatten, würden die Suaneten möglicherweise kein Interesse an ihnen zeigen.
Die Einschränkung »viel Glück haben« hatte nicht dazu beigetragen, dass Talia sich besser fühlte. Daher widersprachen sie und Atharic nicht, als ihr Führer sie am Nachmittag dazu drängte, den bequem begehbaren Talgrund zu verlassen und sich die Hänge hinaufzuschlagen. »Hoch müssen wir so oder so«, meinte er. »Wir haben keine andere Wahl, als die Schlucht, die vor uns liegt, zu umgehen. Gewöhnt Eure Flachlandfüße schon einmal an richtiges Gelände!« Er hatte herzhaft über seinen eigenen Witz gelacht.
»Hoffentlich regnet es nicht.«
»Regen wäre gut. Das macht den Weg zwar schwieriger für uns, aber die Suaneten werden in ihren Häusern bleiben und Besseres zu tun haben, als die Saumpfade zu patrouillieren.«
Jetzt steckten der Briganter und Atharic leise murmelnd die Köpfe zusammen, während sich Letzterer den Weg, der vor ihnen lag, bis ins kleinste Detail beschreiben ließ. Talia hörte ihnen schon lange nicht mehr zu. Kaum hatte sie ihr kaltes Essen im leichten Nieselregen, der mit der
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