Der Fluch der falschen Frage
Chuzpe, ein Wort, das hier die Kaltschnäuzigkeit bezeichnet, die dazu gehört, sich vor jemandem aufzubauen und ihn abzukanzeln, besonders wenn dieser Jemand erschöpft und kaputt ist und nichts als seine Ruhe möchte.
S. Theodora Markson brachte alle drei Voraussetzungen mit plus eine geblümte Nachthaube über ihrer wilden Mähne. Und kaum öffnete ich die Tür zur Fernostsuite, hielt sie mir eine Standpauke, deren nähere Schilderung ich mir hier sicher sparen kann. Wohl jeder musste sich schon einmal eine Standpauke anhören, weil er unachtsam mit einem Wertgegenstand umgegangen ist oder weil er ausgebüxt ist oder weil ein anderer völlig gelähmt vor Sorge um ihn war– auch wenn die Lähmung diesen anderen offenbar nicht daran hindern konnte, ein Bad zu nehmen und Nachthemd und Nachthaube anzulegen. Der fragliche Wertgegenstand ist vielleicht nicht bei jedem eine Bordunbestie, und das Ausbüxen muss nicht zwingend darin bestehen, dass man sich im Zuge eines Einbruchs von einer Trosse in Bäume fallen lässt, aber ansonsten unterschied sich die Standpauke, die ich von Theodora bekam, nicht groß von allen anderen Standpauken überall auf der Welt. Ich stand vor ihr, versuchte, ein möglichst einsichtiges Gesicht zu machen, und wartete auf die Frage, die das Ende jeder Standpauke anzeigt.
» Hast du irgendetwas zu deiner Verteidigung vorzubringen?«, fragte Theodora.
» Was ist passiert, als Sie im Herrenhaus ankamen?«, fragte ich zurück.
» Mrs Sallis war ausgegangen«, sagte sie, » und jemand hatte den Wachtmeistern Mitchum erzählt, wir seien Einbrecher. Wenn ich die Dummheit besessen hätte, die Statue bei mir zu tragen, wäre ich jetzt höchstwahrscheinlich verhaftet und säße im Zug in Richtung Gefängnis.«
» Ich habe das rote Licht vom Auto der Mitchums gesehen«, erklärte ich ihr. » Also habe ich mich in die Bäume fallen lassen, damit wir nicht überführt werden können. Nachdem die Wachtmeister Sie verhört hatten, haben sie mich befragt, aber mit etwas Hilfe konnte ich die Bordunbestie vor ihnen verstecken und in den Briefkasten werfen. Sie sollte morgen früh hier sein.«
Theodora blinzelte. » Kannst du das versprechen?«
Ich seufzte. Jedes neue Versprechen war wie eine weitere schwere Last, die mir aufgeladen wurde, ohne dass ich eine von den vielen anderen hätte absetzen können. » Ja.«
» Du bist immer noch in der Probezeit«, sagte sie. » Ab ins Bett mit dir. Es ist spät.«
Ich ging ins Bad mir die Zähne putzen. Zähne sollte man immer putzen, wenn man gerade wütend ist, weil man dann fester bürstet und die Zähne sauberer werden. Ich hatte mir nicht eingebildet, dass Theodora begreifen würde, was ich getan hatte, aber ich hatte doch gedacht, sie würde sich ein bisschen mehr freuen, dass ich uns aus der Patsche geholfen hatte. Aber wer im Recht und wer im Unrecht ist, spielt keine Rolle, sagte ich mir. Du teilst dir immer noch ein grässliches Hotelzimmer mit einer unzuverlässigen Mentorin, Snicket. Hau dich aufs Ohr.
Die Bettwäsche hatte brettharte Knitter, und das Kissen fühlte sich wie ein Sack voller Murmeln an, und ich kam mir sehr einsam und allein vor, wenn ich daran dachte, wie wenige Menschen wussten, wo ich war, und zu mir eilen konnten, wenn ich Hilfe brauchte. Aber ich war zu müde, um mich darüber zu grämen.
Am nächsten Morgen wurde mir klar, warum unser Zimmer Fernostsuite hieß. Es lag im fernsten östlichsten Zipfel des Gebäudes, so dass sich die allerersten Sonnenstrahlen durch die Fensterläden zwängten und mir in die Augen pikten. » Geht spielen«, befahl ich den Sonnenstrahlen. » Ich komm dann schon.« Die Sonnenstrahlen bestanden darauf, dass ich jetzt sofort kam, also setzte ich mich im Bett auf und ging ins Bad, um mir das Gesicht zu waschen und andere Kleider anzuziehen. Dann schlüpfte ich leise aus der Fernostsuite und ging hinunter in die Hotelhalle, wo Prosper Weiss, sein übliches schleimiges Lächeln im Gesicht, hinter der Rezeption stand. Anstatt mir zu sagen, dass ein Päckchen für uns gekommen sei, ließ er mich fragen, ob ein Päckchen für uns gekommen sei, und zog es dann erst unter seinem Tresen hervor. Als ich es in Händen hielt, besserte sich meine Laune. Ein paar Minuten blieb ich noch in der Halle sitzen und wartete, ob eine Frau mit verbotenen Ohrringen irgendwann das Telefon freigeben würde, verlor dann aber die Geduld und beschloss, lieber der Bibliothek einen Besuch abzustatten.
Dashiell Qwertz scheuchte
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