Der Fluch der falschen Frage
die Wachtmeisterin. » Nicht dass euch noch die Bordunbestie holt.«
» Das ist eine Legende«, sagte ich.
» Überhört die Glocke, dann werdet ihr schon sehen«, sagte der Wachtmeister und rempelte sich an mir vorbei, um sich drinnen umzuschauen. Ellington drückte mir ein Päckchen in die Hand, das in etwa die Größe einer Milchflasche hatte. Es war in Zeitungspapier gewickelt, und sie hatte es eilig frankiert und eine Adresse daraufgekritzelt:
An S. Theodora Markson
Zum weissen Torso
Schwarz-aus-dem-Meer
Die Mitchums begannen Ellingtons Sachen zu durchwühlen, und Ellington und ich warteten auf der Schwelle des Häuschens. » Warum hast du das Paket nicht an mich adressiert?«, fragte ich sie flüsternd.
» Ich dachte, es wäre verdächtig, wenn ich ein Paket an jemanden schicke, der direkt neben mir steht«, sagte sie.
» Ist die Post zuverlässig?«, fragte ich.
» Ja«, sagte sie. » Du müsstest es morgen früh haben. Man sollte es nicht meinen, aber die Zustellung ist hier sehr prompt.«
Ich klemmte mir die eingewickelte Statue unter den Arm. Wenn ich während meiner Praktikumszeit jemand Geeigneten fand, so war mir gesagt worden, dann konnte ich ihn unserer Organisation als neues Mitglied empfehlen. Es schien mir noch zu früh, um eine solche Entscheidung zu treffen, aber nicht zu früh, um Ellington zuzulächeln, während sich die Wachtmeister durch das Innenleben des Häuschens brummelten und grummelten und zu guter Letzt aufgaben.
» Wir geben auf«, verkündete Harvey Mitchum. » In diesem Haus befindet sich keine Statue.«
Ich machte einen Schritt, so dass ich im Freien stand. » Sehr wahr«, sagte ich. » Trotzdem danke, dass Sie vorbeigeschaut haben.«
» Halt, halt, halt!«, sagte Mimi Mitchum. » Wir bringen euch zwei zum Briefkasten und dann nach Hause. Ich weiß ja nicht, was ihr Strolche im Schilde führt, aber für heute ist jedenfalls Schluss damit. Steigt ins Auto und begrüßt unseren bezaubernden Sohn.«
Ellington und ich folgten den Wachtmeistern Mitchum zu ihrem klapprigen Kombi und zwängten uns auf den Rücksitz, wo uns mit einem schläfrigen Gähnen und einem grausamen Lächeln Stew erwartete. » Lemony!«, sagte er mit der zuckersüßen Stimme, die er machte, um seine Eltern zu täuschen. » Wie schön, dich wiederzusehen!«
Ich nickte ihm zu, und er streckte die Hand aus und kniff mich fest in den Arm, ohne dass die Wachtmeister Mitchum es sahen. Aber Ellington sah es, und sie beugte sich ihrerseits vor und packte sein Handgelenk. Stews Gesicht verzog sich, und ich sah, wie sich ihre Fingernägel in seine Haut gruben. » Freut mich, dich kennenzulernen, Stew«, sagte sie. » Ich weiß jetzt schon, dass du und ich lebenslange Freunde werden.«
Stew stieß einen fiependen Laut aus, der vielen Jungen überaus peinlich gewesen wäre, und die restliche Strecke schwiegen wir. Als wir die Stadt erreicht hatten, hielt Mimi Mitchum unter lautem Scheppern an und wartete, während Ellington und ich unsere Päckchen in einen einsamen, verschrammten Briefkasten warfen. Die Klappe des Briefkastens öffnete sich mit einem hässlichen Scharren, und es widerstrebte mir, mein Päckchen hineinzuwerfen. Gut, es widerstrebt dir, Snicket, sagte ich zu mir. Vielen Leuten widerstrebt das, was sie tun müssen. Das ist wie Füße haben. Darauf brauchst du dir nichts einzubilden. Das Päckchen landete mit einem gedämpften Plumps im Innern des Kastens, und dann kletterten wir wieder in den Kombi und fuhren die kurze, öde Strecke bis zum Weißen Torso. Ich dankte den Wachtmeistern fürs Mitnehmen, winkte Ellington mit heimlichen Lächeln zu und sah durch Stew einfach hindurch.
Die Hotelhalle war leer bis auf Prosper Weiss, der ins Telefon murmelte. Ich blieb einen Augenblick lang vor der Gipsstatue der Frau ohne Arme oder Kleider stehen und spürte plötzlich, wie müde ich war.
» Ich weiß«, sagte ich zu ihr, » ich bin für eine Abreibung fällig«, und stieg die Treppe hinauf, um sie mir abzuholen.
Achtes Kapitel
Standpauken halten muss etwas Herrliches sein, sonst wäre es Kindern auch manchmal erlaubt. Schließlich setzt es nichts voraus, was Kinder nicht auch könnten. Im Prinzip braucht man für eine Standpauke nur drei Dinge. Man braucht ein bisschen Zeit, um sich anständige Vorwürfe auszudenken. Man braucht ein bisschen Geduld, um die Anschuldigungen in eine gute Reihenfolge zu bringen, damit die Standpauke die Person, die sie abkriegt, auch richtig trifft. Und man braucht
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