Der Fluch der Finca
hättest sie doch ansprechen können. Immerhin
geht sie im El sol de la noche doch ein und aus.“
Jake machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Natürlich kenne ich sie. Aber ich weiß doch nicht, wie ihr Verhältnis zu ihrem Vater ist.
Viele reiche Kids sind auf ihre Eltern nicht wirklich gut zu sprechen. Ich wollte nicht das
Risiko eingehen, eine gute Kundin zu vergraulen, indem ich sie womöglich auf einen
Vater anspreche, den sie nicht ausstehen kann.“
Jetzt musste Michelle lachen.
„Jake, wenn du wüsstest. Juanita küsst den Boden, auf dem ihr Vater geht. Sie ist seine
Prinzessin und er ist ihr großer Held. Du hättest kein besseres Gesprächsthema wählen
können, als ihren Vater.“
Jake schaute betreten drein.
„Jetzt wirke ich wahrscheinlich ziemlich dumm. Aber ahnen konnte ich das ja nicht. Ich
hielt es für besser, vorsichtig zu sein.“
Als Jake bemerkte, dass Michelle ihn mit einem mitleidigen und nachsichtigen Lächeln
bedachte, straffte er sich wieder und sah ihr frei ins Gesicht.
„Wie dem auch sei: Dass du ein gutes Verhältnis zu der Familie hast, ist für mich offensichtlich.
Der alte Tirado lässt nicht jede Frau mietfrei in seinem kostbaren Anwesen
wohnen. Es wäre also wirklich von großem Nutzen für mich, wenn du für mich und mein
Anliegen ein gutes Wort für mich bei ihm einlegen würdest.“
Michelle war gerührt. Sie hätte ihm sagen können, dass sie zu Juanitas Vater seit Kindheitstagen
selbst auch keinen Kontakt mehr gehabt hätte, aber sie wollte Jake zu gern
helfen. Sie würde die Anfrage einfach über Juanita laufen lassen. Die würde ihren Papa
schon zu überzeugen wissen.
„Wenn das so ist, helfe ich dir natürlich, Jake. Ich werde gleich morgen früh telefonieren
und sehen, was ich tun kann.
Jake schien zufrieden. Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und streckte sich wieder
lang aus. Wenige Minuten später war er eingeschlafen. Michelle betrachtete ihren
schlafenden Liebhaber und fragte sich, wohin die Beziehung wohl führen würde. Dass
es keine Hochzeit geben würde, war ihr klar. Sie hatten nur eine heiße Affäre und das
wusste sie. Sie versuchte nur, sich vorzustellen, wie lange diese Affäre andauern würde
und wie sie eines Tages zu Ende gehen würde. Würde es hässlich werden oder einfach
so im Sande verlaufen, so dass nach einer gewissen Zeit jeder wieder seiner Wege
ging? Keine der beiden Varianten erschien ihr erstrebenswert und dennoch musste sie
sich eingestehen, dass eine davon zwangsläufig eintreten würde. Wie würde sie sich
dann fühlen? Verletzt? Melancholisch? Sie wusste es nicht und sie beschloss, dass es
ohnehin keinen Wert hatte, die gute Zeit, die sie gerade hatten, mit solchen Grübeleien
zu entwerten.
Und wer wusste es schon: Wenn sie ihm helfen könnte, ein gutes Geschäft zu machen,
könnte ja vielleicht doch noch mehr daraus werden.
Sie schüttelte diesen naiven Gedanken so gut es ging ab und schloss ebenfalls ihre
Augen. Sie war müde und zutiefst befriedigt. Kein Grund, sich gerade jetzt das Hirn zu
zermartern.
In weniger als fünf Minuten war auch sie eingeschlafen.
Nach einer guten Stunde erreichte sie die erste Traumphase. Ihr Schlaf wurde unruhig
und sie strampelte mit den Beinen und ballte die Fäuste. Ihr Gesicht zuckte und von
Zeit zu öffnete sich ihr Mund zu einem stummen Schrei. Sie hatte die Finca vielleicht
austricksen können, als sie von dort floh und sich entschloss, sich in den Nächten von
ihr fernzuhalten, aber sie hatte mehr von diesem Ort mitgenommen, als sie für möglich
gehalten hätte.
Sie war wieder dort. Es war dunkel, sie stand zitternd im Wohnzimmer und aus der
Küche fiel ein fahler Lichtschimmer in den Flur. In diesem Lichtkegel war ein Schatten.
Ein Schatten, wie er zuvor noch draußen auf der Terrasse und hinter dem Vorhang verborgen
gewesen war. Und jetzt war er hier drinnen bei ihr.
Sie war nicht fähig, sich zu bewegen. Wohin hätte sie auch fliehen sollen? Nach
draußen rennen, hinaus in die Dunkelheit? Undenkbar. Sie musste es nur bis zum Lichtschalter
schaffen. Nur diese zwei Meter. Sie hatte so viel Vorsprung, dass es ein Leichtes
gewesen wäre, den Schalter zu erreichen, noch bevor das Ding, zu dem der Schatten
gehörte, auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, sich in Bewegung zu
setzen.
Michelle spürte, dass das Licht sie würde retten können. Dieses Ding atmete Dunkelheit.
Dieses Wispern, das jetzt wieder eingesetzt hatte, klang
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