Der Fluch der Finca
mich
ausübt.
Das war plausibel. Das war das Motiv für Juanitas Entführung.
Aus dem Nebenzimmer hörte sie Keith, der dort immer noch nach etwas suchte, das er
nicht finden würde. Die Antwort hielt sie hier in den Händen und eine bessere würde er
auch dann nicht finden, wenn er das ganze Haus auseinandernahm.
„Keith, du kannst aufhören! Wir haben, was wir gesucht haben.“
Die Geräusche im Nebenzimmer verstummten und Keith kam herüber. Mit
verschränkten Armen im Türrahmen angelehnt, maß er sie mit kritischem Blick.
„Du hältst es für möglich, dass Jake Thorn, der König der Unterwelt, sich von diesem
Geschreibsel verleiten lässt, eine Entführung durchzuziehen?“
„Weißt du einen anderen Grund, warum er dieses Buch hier haben könnte? Hast du
auch nur einen einzigen anderen Hinweis auf die Finca in seinen Unterlagen
gefunden?“
„Das heißt aber noch lange nicht, dass es keinen anderen Grund geben kann“, wehrte
er mit wenig Überzeugung in der Stimme ab.
„Doch, das heißt es für mich und weißt du was, Keith? Ich glaube sogar, dass dieser
anonyme Autor sogar in gewisser Weise der Wahrheit über die Finca sehr nahe
gekommen ist, nur dass er sich in einem entscheidenden Punkt geirrt hat“
„Du glaubst diesen Schwachsinn? Michelle, bitte!“
Keith war fassungslos, aber Michelle ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Jetzt war sie
so weit, alle Karten auf den Tisch zu legen. Sollte er ruhig glauben, sie sei
übergeschnappt, aber jetzt ging es nicht mehr darum, ihr Gesicht zu wahren, sondern
um Juanita. In Michelle war ein Plan gereift, wie sie ihre Freundin retten und Jake Thorn
bestrafen konnte, doch dazu war es von entscheidender Bedeutung, dass Keith ihr
glaubte.
„Ja, Keith. Ich glaube das tatsächlich. Ich glaube, dieses Haus lebt und denkt, ganz so,
wie es in diesem Buch steht. Ich habe dort eine Weile gelebt, wie du weißt und ich habe
am eigenen Leib gespürt, dass dieses Haus nicht ist, wie andere Häuser. Es gibt nur
einen feinen Unterschied zwischen dem, was ich weiß und dem, was da drin steht: Das
Haus beschützt seine Bewohner nicht, es jagt sie.“
Es hatte viel Kraft gekostet, das auszusprechen. Angesichts von Keith´ Reaktion würde
es aber noch wesentlich mehr Kraft kosten, ihn zu überzeugen, denn er flippte
regelrecht aus.
„Verdammt, Michelle, es geht hier um das Leben von Juanita Tirado. Ich brauche keine
Gespenstergeschichten von einer verwirrten Witwe aus dem reichen Amerika, ich
brauche Lösungen und du wirst sicher verstehen, dass ich mich jetzt lieber ans Telefon
hänge und meine Leute in den Staaten auf Thorn ansetze, als hier weiter meine Zeit mit
diesem Humbug zu verschwenden.“
Das hatte wehgetan. Unter normalen Umständen hätte sie es nicht zugelassen, dass
einer merkte, wie sehr er ihr wehgetan hatte, doch jetzt war ihre Verletzlichkeit der letzte
Trumpf, den sie ausspielen konnte, wenn sie Keith richtig einschätzte.
Eine Träne löste sich aus ihrem linken Augenwinkel, rann ganz langsam über ihre
Wange und blieb dann kurz an ihrer zitternden Oberlippe hängen, bevor sie sie mit
einer trotzigen Handbewegung fortwischte. Sie sah ihn mit einem Ausdruck verletzten
Stolzes herausfordernd an. Würde er es wagen, das zu ignorieren? Sie wartete und
blickte ihm dabei fest in die Augen.
„Michelle, ich…“, begann er stockend und rang nach Worten. Sie hatte ihn erwischt und
für den Bruchteil einer Sekunde fühlte sie sich wie ein manipulatives Miststück.
Nicht locker lassen, es ist für Juanita!
„Ich wollte dich nicht verletzen, OK? Es ist nur so, dass… also ich kann an so etwas
nicht glauben. Ich meine, das ist doch verrückt“
„Ich bin also verrückt“, flüsterte sie lauernd.
„Nein, das habe ich doch nicht gesagt. Bestimmt hast du deine Gründe, das alles zu
glauben, aber du bist aufgewühlt, hast deinen Mann verloren, bist fremd hier, Thorn hat
dich verschaukelt und jetzt ist auch noch deine beste Freundin in Gefahr. Ganz ehrlich:
Ich verstehe das.“
„Dann mache ich dir einen Vorschlag, Keith Flemming: Ruf du nur deine
Geheimagentenfreunde in Amerika an. Schaden kann es ja nicht. Vielleicht finden sie
Thorn, vielleicht nicht. Aber dann tust du mir anschließend einen Gefallen. Einen
Gefallen werde ich doch wohl bei dir guthaben, oder nicht?“
Keith war jetzt in der Defensive, das konnte Michelle fast körperlich spüren. Sie hatte
ihn da, wo sie ihn haben wollte.
„Sicher, was
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