Der Fluch der grünen Steine
Wildnis!« sagte Novarra und gab die Röntgenplatte zurück. »Und keiner weiß etwas davon! Für jeden Politikerfurz gibt es Orden und Auszeichnungen, aber ein Mensch wie Sie, Dr. Morero, bleibt unbekannt. Ihr Name müßte sichtbar für alle Welt an den Himmel geschrieben werden. Übrigens: Bandilla geht es saumäßig.«
Dr. Mohr warf die Platte auf den Tisch. »Aber wieso denn? Vor drei Tagen lief er doch herum, noch sehr wacklig, aber er ging aufrecht und war bester Laune …«
»Er kotzt Galle und Blut.«
»Seit wann?«
»Seit drei Tagen. Am Abend nach Ihrem letzten Besuch fing es an.«
»Und das sagen Sie mir erst heute? Sofort zu mir mit Bandilla! Da kann ein Magengeschwür durchgebrochen sein.«
»Bandilla ist nicht mehr transportfähig«, sagte Novarra verschlossen.
»Das können Sie beurteilen?«
»Ja!« Novarras Gesicht war hart geworden. »Bandilla ist vielleicht jetzt schon tot.«
»Novarra, Sie …«
»Er wollte keinen Arzt mehr.«
»Das ist nicht wahr! Er freute sich immer, wenn ich kam!«
»Aber vorgestern, als ich Sie rufen wollte, resignierte er. ›Keine Qualen mehr‹, sagte er. ›Ich fühle es … es ist umsonst.‹ Und wie er aussah, was er alles ausbrach – man mußte ihm recht geben! Medizin sollte helfen und heilen, aber nicht unnötig quälen, wo keine Hoffnung mehr ist!«
»Novarra, was sind Sie für ein Mensch!« Dr. Mohr setzte sich auf die Schreibtischkante. Der Bärtige ging zum Fenster, drehte Mohr den breiten Rücken zu und starrte hinaus. An der Kirche wurde noch gearbeitet. Die letzten Stellen des Daches wurden mit Holzbrettern und flachen, ziegelartigen Steinen gedeckt. »Sie entscheiden über ein Leben ohne jegliche medizinische Kenntnis …«
Ich brauche keine Kenntnis der Medizin, dachte Novarra. Ich weiß, daß es für Bandilla keine Rettung mehr gibt. Seit er wieder feste Nahrung zu sich nimmt, mischt man ihm fein zerstoßenes Glas unter das Gemüse. Das reißt die Magenwände auf. In diesem Stadium ist nichts mehr zu machen, Dr. Morero. Auch Sie können keinen ganzen Magen herausnehmen und die Speiseröhre direkt mit dem Darm verbinden. Im Prinzip ist das natürlich schon möglich, aber nicht hier, in den Felsen zwischen Penasblancas und Muzo. Doch das brauchen Sie nicht zu wissen, Dr. Morero! Sie würden nur wieder sagen: Das ist Mord! Und man hätte große Mühe, Sie davon zu überzeugen, daß wir eben gerade damit einen Mord verhindern wollen. Den Mord an Ihnen. Bandillas Dank! Es hat keinen Sinn, einem Mann gegenüber ein Gewissen zu haben, wenn dieser gar nicht weiß, was Gewissen ist! Natürlich, Doctor, mir ist bekannt, daß Sie eine andere Moral haben! – Aber wir leben nicht in einer geordneten Welt, sondern am Rande der Hölle. Wir haben hier unsere eigene Moral. Ich sage es Ihnen immer wieder, Doctor, aber Sie wehren sich gegen diese schaurige Wahrheit! Also müssen wir handeln ohne ihren Ehrenkodex …
»Ich warte darauf, daß die Nachricht von Bandillas Tod kommt«, sagte Dr. Novarra laut gegen das Fenster.
»Ich bestehe darauf, ihn zu obduzieren!« rief Dr. Mohr.
»Abgelehnt …«
»Ich muß die Todesursache wissen!«
»Herzversagen. Das stimmt immer. Der Tod ist ein Herzversagen. Können Sie das widerlegen?«
»Sie haben Bandilla umbringen lassen, Novarra!«
»Ich gestatte Ihnen, den Körper nach Schußverletzungen zu untersuchen.«
»Vergiftet!«
»Sind wir Weiber? Giftmorde sind Frauenprivilegien!«
»Aber irgend etwas stimmt doch da nicht! Bandilla stirbt nicht eines natürlichen Todes.«
»Er liegt brav im Bett! Auch erhängen tun wir ihn nicht! Oder erdrosseln. Oder ersäufen. Er stirbt als braver Mann unter der Bettdecke … Doctor, Sie haben alles getan, was möglich war. Aber die Medizin hat ihre Grenzen, das wissen Sie genau. Bandilla liegt hinter dieser Grenze. Tröstet Sie das?«
»Nein!« Dr. Mohr nahm das Röntgenbild. Im OP wartete der Splitterbruch auf die Behandlung. Dr. Simpson verkürzte die Wartezeit, indem er dem Schürfer eine Reihe ungeheuer säuischer Witze erzählte. Der Mann lachte dröhnend und hatte kaum noch Schmerzen. »Aber ich muß mich damit abfinden. Vergessen ist die Sache trotzdem nicht, Novarra!«
»Jeder von uns schuldet dem anderen eine Menge Dank. Werfen wir das in einen Topf …«
»Ein Menschenleben?«
»Was ist hier ein Menschenleben?«
»Ist Ihnen Chica und Ihr kleiner Sohn so wenig wert?«
»Es geht beiden übrigens ausgezeichnet, Doctor …«
»Danke! Doch meine Frage …«
»Chica
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