Der Fluch der grünen Steine
war höllisch: ein Panzergeschoß mit Sprengladung. Ewald Fachtmann mußte drei Sykomorenbäume an seinem Parkteich opfern. Die Geschosse zerfetzten sie glatt.
»Mein Gott, was bleibt da von einem Menschen übrig«, sagte Dr. Mohr heiser. »Wo und wie soll ein Arzt da noch helfen?«
Nun war es also soweit. Militärisch hätte man gesagt: Der Tag X war gekommen.
Dr. Mohr saß in seinem vollgepackten Jeep, die tödliche Umhängetasche neben sich, im stählernen Halter des Wagens, neben sich, griffbereit, ein Schnellfeuergewehr. Um die Hüften, an einem breiten, mit Metallknöpfen in Hollywood-Cowboy-Art beschlagenen Ledergürtel hingen ein beidseitig geschliffenes Messer und ein Revolver in einem offenen Halfter.
»Revolver ist besser als Pistole!« hatte der Waffenhändler gesagt. »Pistolen haben zu oft Ladehemmung, Revolver aber sind immer bereit!«
Selbst das hatte Don Alfonso durch seine umfassenden Verbindungen erreicht: Dr. Mohr konnte offiziell Waffen kaufen – ein Polizeioffizier brachte ihm unaufgefordert einen Waffenschein in Fachtmanns Haus – und das staatliche Hospital von Bogotá lieferte eine große Rot-Kreuz-Fahne, die Dr. Mohr mit Bindfäden über den Kühler des Jeeps spannte. Allerdings nur, bis er die Straße nach Muzo erreicht hatte. Dann wollte er die Fahne einrollen und als Pedro Morero weiter in die Kordilleren fahren.
Der Abschied von Freund Ewald war kurz. Sie drückten sich die Hand, Mohr ließ den Motor an, und Fachtmann lief ein paar Meter nebenher, solange der Jeep nur rollte.
»Verfluch mich nicht!« rief er und klopfte Mohr auf den Rücken. »Und wenn es irgendwie möglich ist, gib einen Laut, Othello! Ein arbeitendes Postamt gibt's in Penasblancas nicht. Wer sollte von dort Ansichtskarten schreiben? Außerdem sind die meisten dort Analphabeten. Othello, und wenn du ein hübsches Mädchen siehst in Penasblancas, geh immer mit 'nem entsicherten Revolver ins Bett! Und noch eins …«
Mohr gab Gas, die nächsten Sätze zerhackte der alte Jeepmotor. Fachtmann redete noch weiter, stand einsam auf der Straße und blickte dem hüpfenden Wagen nach. Er mußte reden, Dampf ablassen, den Druck in seiner Brust loswerden.
»Komm wieder, Othello«, sagte er endlich. Der Jeep bog um die Ecke und verschwand. »Komm mit zwei Armen und zwei Beinen wieder.«
Die Straße nach Muzo, der ›Smaragd-Stadt‹, ist ein paar Kilometer außerhalb Bogotás noch eine vernünftige Straße mit einer festen Decke. Omnibuslinien verbinden die Außenbezirke mit der Hauptstadt, in denen vor allem die Arbeiter der Erdölfirmen leben. Seitdem man in Kolumbien große Erdölvorkommen entdeckt hatte und ein sagenhafter Reichtum über eine Minderheit der Bevölkerung hereinbrach, wurden auch einige Slums eingeebnet und nach amerikanischem Muster Siedlungen gebaut. Riesige Bienenwaben, in denen die Menschen wie überdimensionale Insekten leben und sich nach ihren Hütten aus Steinen, Lehm und Blechdächern aus alten Benzintonnen sehnen. Dort hatten sie ihre Hühner, ihre Ziegen, ihre Karnickel und ihre Ratten. Auch Ratten kann man essen. Ernährungswissenschaftler der UNO haben festgestellt, daß Rattenfleisch den gleichen Nährwert wie Rindfleisch hat, aber einen niedrigeren Fettgehalt. Sehr gut für einen ausgeglichenen Cholesterinspiegel. Auch Affen- und Schlangenfleisch empfehlen sie als genießbar und gesund. Ein Aufruf an die hungernden Menschen der Dritten Welt. Ein UNO-Beitrag der zivilisierten Welt.
Wo die ausgebaute Straße nach Muzo aufhört und übergeht in eine typische südamerikanische Piste durch Urwald und Gebirge, dort, wo es auch keine Haltestelle der Omnibusse mehr gibt, seitdem Muzo eine tote Stadt geworden ist, nur noch bevölkert von Abenteurern, Militär und Polizei, Spielsalons und Bordellen, Umschlagplatz für das illegale Millionengeschäft mit den kleinen grünen Steinen, dort also, wo der ›blutige Weg zu den grünen Sonnen‹ beginnt, stand ein Mann am Straßenrand und hob nach guter, internationaler Manier den Daumen in die Höhe, als Dr. Mohrs Jeep von weitem sichtbar wurde.
Mohr hatte die Rot-Kreuz-Fahne bereits abgenommen. Nachdenklich musterte er den winkenden Mann an der Straße, rückte den Revolver im offenen Halfter griffbereit näher zum Bauch und bremste. Der Mann sah wild aus. Ein schwarzer Vollbart überwucherte sein Gesicht. Der schlanke, aber nicht dürre, vielmehr ziemlich muskulöse Körper steckte in einem uralten, fleckigen, vielfach geflickten und einmal weißen,
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