Der Fluch der Halblinge
… nein …« Fionn ergriff Morcants Arm und versuchte ihn aufzurichten. »Los, komm, du kannst hier nicht bleiben …«
»Ich bin müde. Lass mich schlafen.«
»Du hast letzte Nacht geschlafen. Steh auf!«
Der Elb reagierte nicht mehr. Fionn hob den Kopf und sah, dass alle anderen weitergeritten waren. Keiner schien den Unfall bemerkt zu haben.
»Hilfe«, stieß er kläglich aus. Seine Stimme klang dünn und wurde vom Wind sofort aufgelöst. »Hiiiilfe!«, versuchte er es noch einmal. »Tuagh!«
Der Oger, der mit dem Troll schon ein gutes Stück voraus war, blieb stehen und drehte sich um. Dann lief er zurück. »He, kleiner Mann, was’n los?«
Tuagh wendete seinen Roten und trieb ihn an. Die Zwillinge hielten an, machten aber keine Anstalten, die Pferde umzudrehen. Valnirs Pony blieb einfach stehen.
Blaufrost lief auf das Pferd zu, Gru Einzahn und Tuagh kamen fast gleichzeitig bei Fionn und Morcant an. Der Wanderkrieger stieg ab und beugte sich über den Elb.
»Ich weiß nicht, was er hat«, sagte Fionn fast schluchzend.
»Das Pferd is’ verreckt, einfach so«, rief Blaufrost. »Kein bisschen Leben mehr drin. Kann ich’s haben?«
»Ja«, antwortete Tuagh. »Aber halte dich bitte abseits, geh mit ihm nach hinten.«
Blaufrost hob das verendete Tier mühelos hoch und lief ein gutes Stück zurück. Mit dem Rücken zu den Gefährten gewandt, machte er sich über das Festmahl her.
»Verdammte Hacke«, brummte der Oger. »Und wo is’ meine grüne Wiese?«
Morcant reagierte weder auf Ansprache noch auf Berührung. Ein Schreckensruf von Valnir ließ sie hochfahren, und da sahen sie es schon. Màni und Màr waren ebenso aus den Sätteln gestürzt und regten sich nicht mehr.
»Sie sind zu lange weg von allem Lebendigen«, stellte der Wanderkrieger besorgt fest.
»Ich wusste nicht, dass sie derart innig verbunden sind …«
»Das fällt normalerweise auch nicht auf. Und so stark dürften sie nicht reagieren. Es ist dieses Land. Hier irrt eben doch verfluchte Magie herum und zerstört den Lebenswillen. Die Elben reagieren darauf sensibler als wir.«
Fionn wagte nicht einzugestehen, dass er sich auch kaum noch aufrecht halten konnte. Er musste sich zusammennehmen.
»Was mach’n wir?«, fragte Gru Einzahn.
»Wir binden sie auf die Pferde, die Zwillinge zusammen auf eines, Morcant auf das zweite. Wo ist Valnir?«
»Sitzt noch oben.«
»Gut. Weiter«, befahl Tuagh. »Beeil dich, Blaufrost! Wir haben es eilig.«
Zuerst stürzte das Pferd mit den Zwillingen, dann Morcants. Sie verendeten innerhalb weniger Augenblicke. Blaufrost musste sie zu seinem tiefsten Bedauern liegenlassen; er war noch satt, und als Vorrat konnte er sie nicht mitnehmen. Er nahm die beiden Zwillinge unter jeweils einen Arm, und Gru Einzahn trug Morcant. Die Lebenszeichen der Elben wurden zusehends schwächer, wie Tuagh besorgt feststellte. Valnir nickte immer wieder ein, hielt sich aber ansonsten aufrecht und blieb ansprechbar. Fionn hingegen sank zusehends tiefer in seinen Sattel hinein; er schaffte es einfach nicht mehr, sich weiterhin zusammenzureißen. Tuagh befahl ihm, die Gästeliste von seinem Geburtstag aufzuzählen und stieß ihn an, sobald er fahrig wurde. Einmal gab er ihm eine Ohrfeige, die ihn beinahe aus dem Sattel befördert hätte. Das half für eine kleine Weile.
Die Nacht kam. Zuerst wurde es unwesentlich dunkler, dann schlagartig stockschwarz. Die Gefährten drängten sich mit den Tieren dicht zusammen, außen der Troll und der Oger, dann die Pferde, Tuagh, Finn und Valnir und innen die Elben. Gru Einzahn klagte über großen Hunger, ansonsten schien er genau wie Blaufrost immun gegen die Irrmagie zu sein.
Trotz seiner unendlichen Müdigkeit konnte Fionn nicht schlafen. Er hatte das Gefühl, Stimmen zu hören, die langsam näher kamen. Mehr wurden. Und vielfältiger.
Da war ein Stampfen von Pferdehufen, Wiehern und Schnauben. Vielzählige Stimmen von Soldaten, die sich über die Aufstellung berieten. Das Klirren von Waffen. Und dann … Der Boden bebte unter einem gewaltigen Ansturm, Kriegsgeschrei, zusammenschlagende Schwerter, Schmerzensschreie …
Fionn hatte das Gefühl, im Zentrum einer Schlacht zu liegen, um ihn her wogte das Getümmel, verstümmelten und erschlugen sich Krieger in Rüstungen. Er sah wehende Fahnen, hörte Hörner blasen, roch Staub und Blut. Er erkannte Elben und Menschen, die gegeneinander kämpften, den Befehlen ihrer Anführer gehorchend, gnadenlos gegeneinander vorgingen.
Es ist ein
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