Der Fluch der Halblinge
kleine Sichel und Handschuhe.
»Das ist die Schöne Frau«, flüsterte Morcant Fionn zu, und seine Stimme klang ehrfürchtig. »Kymra, die Segensmutter.«
Die Schöne Frau lächelte und breitete die Arme aus. »Ich freue mich, dich wiederzusehen, mein lieber Junge.« Das sagte sie zu Tuagh, der sich daraufhin tief vor ihr verbeugte und sie voller Respekt begrüßte.
Dann richtete sie ihren Blick auf Fionn. Blaue Augen. Ihre Augen hatten dieselbe Farbe wie der See, und wie dort auf den kleinen Wellen glitzerte die Sonne darin.
»Sei willkommen, Fionn Hellhaar.«
Er schluckte. Sie kannte seinen Namen. Was noch alles? Mit weichen Knien verbeugte er sich.
»Ich grüße Euch, ehrenwerte Segensmutter«, stammelte er. Er hörte rings um sich ein Kichern.
»Kommt herein, ihr beiden.« Lady Kymra winkte ihnen zu und ging nach innen.
Fionn zog eine verdutzte Miene, da packte Tuagh ihn am Arm und zog ihn mit sich. »Komm schon, die Dame lässt man nicht warten.«
»Und … und die anderen?«
»Müssen draußen bleiben. Halt den Mund! Wir müssen froh sein, dass sie uns überhaupt empfängt.«
Hier oben gab es nur einen einzigen Raum, dessen Wände aus dem Baum selbst bestanden, bunt ausgeleuchtet durch die vielfarbigen Scheiben. Gemütliche Holzmöbel, ein paar Schränke, getrocknete Kräuterbündel hingen von der Decke, große getrocknete Gräser steckten in einer Vase.
Lady Kymra bot ihnen einen Platz am Tisch an und goss ihnen leicht vergorenen Apfelsaft in zwei Gläser. Fionn konnte sich gar nicht mehr erinnern, wie Bier und Wein schmeckte, und der Vergorene stieg ihm sogleich zu Kopf.
»Du bist noch auf der Suche?«, richtete die Schöne Frau ihre Frage an Tuagh.
»Ja, Mylady.«
»Wenn sich darin nichts geändert hat, warum bist du dann jetzt hier? Ich kann dir nur dasselbe sagen wie damals.«
»Valnir Eisenblut hielt es für eine gute Idee.«
»Sie hat viele gute Ideen, und ich glaube, sie wollte dich trösten.«
Lady Kymra wandte sich Fionn zu. »Um deine vielen Fragen zu beantworten, die einen wahren Reigen um deinen Kopf tanzen: Ich weiß es, weil ich ein gutes Gehör habe.« Sie tippte sich gegen ein Ohr und lächelte. »Ich höre mich um, und es wird viel geredet.«
»Wisst Ihr auch etwas über Sìthbaile zu berichten?«, fragte Fionn und sah bang, wie ihr Gesicht sich verdüsterte.
»Ja, und nichts Gutes. Es wird Zeit, dass ihr zurückkehrt. Schreckliches ist dort im Gange. Gerade du«, sagte sie zu Tuagh. »Du solltest nicht mehr herumreisen, sondern dort sein, wo du hingehörst.«
»Nur, wenn ich das Buch habe«, antwortete er.
»Uns … uns wurde gesagt, dass es hier in Du Bhinn sei«, fügte Fionn hinzu. »Beim, äh, Zauberer vom Berge.«
»Und nun wollt ihr wissen, wo der Zauberer vom Berge ist?«
»Ja, Segensreiche. Wenn Ihr uns da helfen könntet … es gibt hier sehr viele Berge.«
Fionn ärgerte sich, wie still und düster Tuagh dasaß, er empfand es als unhöflich der Lady gegenüber. Sein Glas hatte er in einem Zug geleert, das auch noch. Kräftiger Schnappes wäre ihm wahrscheinlich lieber gewesen.
Lady Kymra nickte. »Der Carradu wird es euch sagen. Geht hinauf, dann werdet ihr ihn sehen.«
Fionn kannte das aus den Märchen. Da gab es immer nur kryptische Antworten. Aber warum musste das auch in Wirklichkeit passieren?
»Das ist alles, was ich zu sagen habe. Und es ist alles. Ich helfe euch aus Mitleid ihm gegenüber«, sie deutete auf Tuagh, »und wegen deines armen Volkes, Fionn. Es wird Zeit, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Deshalb werde ich auch nichts dafür verlangen.«
»Das entspricht doch genau dem, was wir erhalten haben.« Tuagh sprang auf und warf dabei den Stuhl um. »Ich hätte nicht hierher kommen sollen!« Damit stürmte er grußlos hinaus.
Fionn wäre vor Scham am liebsten tief im Baum versunken, und er wusste nicht, wie er das wieder gutmachen sollte.
Aber Kymra war gar nicht zornig. Sie wiegte den Kopf. »Immer noch so stürmisch, der Junge«, seufzte sie. »Er wird sich nie ändern, egal was es ihn noch kosten mag.« Sie richtete ihren Blick auf Fionn. »Er ist ein guter Mann. Du musst ganz besonders auf ihn achten, hörst du?«
»Das werde ich«, versprach Fionn verblüfft. Das war ja mal eine seltsame Wendung. War denn nicht er derjenige, der klein und hilflos war?
»Hilf ihm.«
»Wenn ich kann …«
»Wenn du es nicht kannst, kann es niemand, und ich hege dann keine Hoffnung mehr für ihn.« Lady Kymra stand auf, und Fionn sah das als Zeichen,
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