Der Fluch der Halblinge
wirklich so dunkel, wie es jetzt schon aussieht, und ich will nicht die Nacht dort oben verbringen, solange dieses Gewitter noch herumkreist.«
»Du solltest mehr Grünzeuch futtern«, sagte Gru zu Tuagh. »Das macht dein’ Kopf wieder klar.«
Die Miene des alternden Söldners hellte sich keineswegs auf. Wortlos drehte er sich um und stieg den Hang hinan.
Pass auf ihn auf.
Eingedenk Lady Kymras Worten sah Fionn zu, dass er an Tuaghs Seite kam und dort blieb. Die anderen hatten sich verteilt, hielten Ausschau nach jedem noch so unscheinbaren Hinweis und konnten doch nur feststellen, dass es hier schlicht trostlos war. Dafür wurde der Ausblick auf die Senke unter ihnen mit jedem Schritt schöner.
Und über ihnen kamen sie den grau geballten Wolken näher, in denen es ab und zu immer noch blitzte und wetterleuchtete, begleitet von entferntem Grummeln.
Seltsam, aber Fionn fühlte sich an Clahadus erinnert. Genau wie dort fühlte er sich in seiner Stimmung zusehends niedergedrückt und empfand den Berg als völlig freudlos in einer sonst atemberaubenden Umgebung. Öde, verlassen, tot . Dabei stimmte es gar nicht, denn wenigstens ein paar kleine Pflänzchen und Blumen existierten. Aber der Himmel passte genau zu seiner Stimmung.
Fionn sah nach den anderen und merkte, dass auch die Elben in ihrem leichtfüßigen Schritt langsamer und schwerfälliger wurden. Genau wie in Clahadus! Lediglich Valnir stapfte unbeeindruckt dahin, ebenso Gru. Und die Pferde, die nur ab und zu maulten, weil sie nicht dauernd bergauf gehen wollten.
»Es ist die Magie …«, flüsterte er. Valnir hatte recht gehabt, hier gab es reichlich Magie, aber nicht nur unten in der Senke durch die Tylwytheg. Dort war es ganz anders gewesen als hier oben. Es war …
Abweisend.
Und diesmal war Tuagh nicht dagegen gefeit, es prallte nicht einfach an ihm ab. Und sein ungewöhnliches Verhalten hing genau damit zusammen.
Es war so beabsichtigt.
Wir sind auf dem richtigen Weg!
Fionns schweifender Blick blieb zufällig an etwas hängen, das ihm jetzt erst auffiel. Er hatte es zuvor auch schon bemerkt, aber nicht darauf geachtet. Aber nun waren sie ein Stück weiter hinauf gekommen; die Hälfte dürften sie bald erreicht haben. Unterwegs hatten sie ein paar von den Felszacken mit den Höhleneingängen passiert, und über ihnen gab es davon noch viel mehr.
Und näher gerückt war auch etwas, das nicht so recht hierher passte. Eine weiße Linie knapp unterhalb eines großen Felsvorsprungs, der aussah, als wäre er vor Äonen von dem Berg abgeplatzt, stand nun wie ein schiefer, gebrochener Knochen vom Hang ab.
Fionn strengte seine Augen an, doch selbst für seine Scharfsichtigkeit war es noch zu weit weg. »Was ist das?«, flüsterte er.
»Wovon sprichst du?«, fragte Tuagh und ließ seinen Blick Fionns Fingerzeig folgen. »Ach, das. Es gibt viele solcher weißen Einschlüsse hier, je weiter wir hinaufkommen.«
»Das sind keine Einschlüsse.« Fionn wechselte die Richtung und steuerte auf das weiße Band, oder was es war, zu.
»Da ist doch nichts!«, rief Morcant hinter ihm. »Es ist nur weißes Gestein!«
»Das glaube ich nicht«, antwortete Fionn. »Ich will es genau wissen.«
Eilig stapfte er hinauf und spürte sogleich ein Ziehen in seinen Beinmuskeln; es war hier wesentlich steiler und rutschiger. Immer mehr Felsen wuchsen aus dem Boden, und wesentlich mehr Blumen zeigten ihre zierliche Schönheit.
Es ist der Weg seines Volkes.
» Verdammt«, flüsterte Fionn und blieb stehen. »Tuagh!«, schrie er dann. »Komm sofort her!«
»Was ist los?«, kam es zurück.
»Pellinore hat recht gehabt!«, rief Fionn mit sich überschlagender Stimme, überwältigt von der Erkenntnis. »Ich habe ihn gefunden! Der Weg ist hier!«
Er drehte sich um und hob die Arme. »Es sind Lilien!«
Fionn konnte es nicht fassen, wie klar und deutlich der Weg vor ihm lag. Lachend rannte er den Berg weiter hinauf, auf das Zeichen zu. Zehn Schritte davon entfernt blieb er stehen, verschwitzt und außer Atem, und wartete auf Tuagh, der die anderen weit hinter sich gelassen hatte.
»Fionn, ich verstehe immer noch nicht …« Dann verschlug es ihm die Sprache, und seine Augen weiteten sich.
»Ich habe dir von Hafrens Lilien erzählt«, sprudelte Fionn atemlos hervor. »Hafren, unsere Schutzpatronin, die Herrin der Flüsse und Seen … und ihre Lieblingsblume. Sieh sie dir an! Diese weißen Blumen dort sind Lilien, und sie sind auf einer Linie in ganz bestimmten Abständen
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