Der Fluch der Halblinge
»Schwarzauge ist … ein Elb? Und ich meine damit: einer von euch? Kein Verwandter wie die Tylwytheg, kein Myrkalfr? Ich bin immer davon ausgegangen, dass es sich um einen Zauberer handelt, oder eben einen Verwandten. Aber … ihr wisst , wer er ist? Die ganze Zeit schon?« Nun starrte er Morcant an. »Du hast mir ebenfalls eine Menge verschwiegen, nicht wahr?«
»Meine Schande ist groß genug«, murmelte der Meersänger. Peredur zog es vor zu schweigen, und das war auch besser so.
Asgell ließ sich davon nicht ablenken, er kam gerade so richtig in Fahrt. »Weil die Menschen kurzlebig sind, geriet die Wahrheit in Vergessenheit. Bis ich daherkam. Du musst wissen, Fionn, dass ich mit magischen Kräfte geboren wurde und mich zeitlebens mit den Wissenschaften beschäftigt habe. Im Gegensatz zu meinem Bruder bin ich kein Krieger. Ich kann kämpfen, tue es aber nicht gern. Während er sich also bevorzugt duellierte, stöberte ich überall herum. Und eines Tages stieß ich auf eine sehr alte Schriftrolle. Es war eine historische Aufzeichnung des Stammvaters der Vidalin, der von Norden nach Süden wanderte und die Ruinen erstmals entdeckte. Zu dem Zeitpunkt gab es noch keine Elben auf Albalon! Unser Urahn, dessen Erbe offenbar in mir erwacht ist, stöberte in den Ruinen herum und fand Zeugnisse menschlicher Hinterlassenschaften … und diese Bücher hier, tief unten in einem Gebäude, das im Erdboden versunken war. Er fand eine Luke, durch die er es betreten konnte. Das Gebäude war nur noch in wenigen Bereichen begehbar, doch allein was er da vorfand, überwältigte ihn. Der Urahn begriff, welchen kostbaren Schatz er da geborgen hatte, und brachte ihn an einen sicheren Ort – hierher. Mit den Jahren geriet das in Vergessenheit, wie auch das Wissen, dass nämlich die Menschen vor langer Zeit die Ersten hier auf dieser Insel gewesen sind.«
Asgell holte tief Luft. »Sie besaßen eine Kultur, die unsere heutige Vorstellungskraft bei Weitem übersteigt, und deren Hinterlassenschaften wir zu ergründen versuchen. Dann geschah eine Katastrophe, und alles ging unter. Das Antlitz der Welt veränderte sich. Was genau passiert ist, haben wir noch nicht herausgefunden. Die anderen Völker, die bisher im Verborgenen gelebt hatten, entdeckten das verwaiste Land und ließen sich nieder. Sie nahmen rasch an Zahl zu. Die letzten überlebenden Menschen lebten weit verstreut unter ihnen, bis auch ihre Zahl wieder so weit angestiegen war, dass sie begannen, eigene Reiche zu errichten. So kam die Zeit der Völkerkriege um Land und Reich. Darauf folgte eine lange Friedensperiode.
Vor tausend Jahren dann, im Großen Krieg, fand ich durch die Schriftrolle die Wahrheit über Plowoni, das Dubh Sùil für sich beanspruchen wollte, heraus. Der Hochkönig der Menschen stellte Dubh Sùil öffentlich zur Rede wegen der Geschichtsfälschung. Die jüngeren Elben, die die Wahrheit nicht gekannt hatten, hielten daraufhin inne und wollten die Waffen niederlegen.«
»So wie ich«, sagte Morcant.
»Dubh Sùil wurde daraufhin rasend vor Wut. Es sollte keinen Frieden geben, zumindest nicht so. Darauf folgte das unvorstellbare Gemetzel, dessen Hinterlassenschaften ihr in Clahadus gesehen habt.«
»Und waren damals auch die Ritter dabei?«, fragte Fionn.
Asgell nickte. »Der arme Pellinore, den ihr in Plowoni getroffen habt, war einer von ihnen. Ein großartiger Freund und Vertrauter, und ein hervorragender Ritter, ein leuchtendes Vorbild für alle. Auch er fiel einem Fluch zum Opfer, genau wie Peredur und ich.«
Fionn sah zu seinem Freund. Oder ehemaligen Freund. Er war immer noch viel zu wütend auf ihn. »Und was hattest du damit zu tun? Wieso wurde dir das Herz gestohlen?«
»Peredur war nicht der größte Held des Krieges«, sagte Morcant langsam. »Er war der Held.«
»Und?«
Morcant nickte Tuagh zu, der Peredur war. »Sag es ihm.«
Der über tausend Jahre alte Mann seufzte.
»Ich war der letzte Hochkönig Albalons«, rückte er dann mit der Sprache heraus.
»Uff«, kam es aus Fionn heraus, und jetzt musste er sich zurücklehnen, um Halt zu finden. Nicht nur ein König. Der Hochkönig . Und nicht nur der Menschen, so wie Alskár der Hochkönig der Elben war. Nein, von ganz Albalon. »Uff«, wiederholte er, und mehr brachte er nicht heraus.
Er hatte sich gerade mit dem Hochkönig von Albalon angelegt. Na prächtig. Seinem Zorn blieb kein Raum mehr, er wurde erdrückt von dem, was er gerade erfahren hatte. Aber entschuldigen würde er sich
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